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The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Rehage
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Gesicht auf.
    »Natürlich gibt es hier ein Gasthaus!« Er zeigt in die Richtung, aus der ich gekommen bin.
    »Wie weit?«
    »Hundert Meter vielleicht!«
    Die Imbissbesitzerin zuckt nur lächelnd mit den Schultern.
    Als ich meine Sachen zusammengepackt habe, geht es im Triumphzug zur Tür hinaus und an den anderen Geschäften vorbei, die Passanten keines Blickes würdigend, bis wir schließlich vor einem breiten Eingangstor anhalten.
    Ich bin fassungslos.
    »Das hier soll das Gästehaus sein?«, frage ich und deute auf das umzäunte Kraftwerksgelände, aus dem der dickbauchige Kühlturm emporstrotzt und seine weiße Wolken in den Himmel bläst.
    Ich mache einen Schritt nach hinten, doch es ist bereits zu spät: Einer der Wärter hat mich bemerkt und kommt hinter einer Scheibe hervorgeschossen. Was ich hier suche, will er wissen. Anspannung liegt in der Luft.
    »Nichts«, sage ich, trete einen Schritt zurück und hebe die Hände, »gar nichts suche ich hier!«
    Doch ich habe nicht mit dem dicken Jungen gerechnet. Er schwenkt lässig sein Würgeholz in der Hand und verkündet: »Der Onkel wird im Gästehaus übernachten!«
    Erschrocken blicke ich in das Gesicht des Wärters. Sein dünner Oberlippenbart zuckt, seine Augen verengen sich voller Argwohn. Ich schüttele den Kopf und mache noch einen Schritt zurück, doch dann passiert etwas Unerwartetes: Der Wärter nickt, dreht sich um und kehrt wieder in sein Wachhäuschen zurück.
    Der Weg ins Kraftwerk ist frei.
    Der dicke Junge brummt zufrieden und setzt sich in Bewegung. Das Mädchen sieht, dass ich zögere, und macht eine einladende Bewegung. Ich gebe auf und folge den beiden auf das Gelände des Kraftwerks.
    Wir gehen am Kühlturm vorbei und biegen um eine Ecke, als wir von einem älteren Herrn mit Bauhelm zurückgerufen werden. Er lässt sich meinen Pass zeigen, während ihm die Kinder die Situation erklären, und schließlich nickt er und lässt uns weitergehen. Wir betreten ein großes Betongebäude mit dunklen Fenstern.
    »Das Gästehaus«, sagt das Mädchen und rennt hinter dem Jungen ein Treppenhaus empor.
    Ich muss immer zwei Stufen auf einmal nehmen, um mit den flinken Kinderfüßen Schritt zu halten. Wir kommen erst im fünften Stock zum Stehen, vor einem Tresen in einem langen Flur.
    »Tante!«, ruft der Junge, und das Mädchen macht es ihm nach. Die Rufe verhallen, doch irgendwann erscheint sie wirklich, die Tante. Sie guckt entgeistert und deutet mit dem Zeigefinger auf mich, doch der Junge fängt sofort an zu reden, und obwohl sie währenddessen die ganze Zeit mit dem Kopf schüttelt, holt sie schließlich doch ein Formular hervor und legt es vor mich auf den Tresen.
    Es ist für Angestellte des Kraftwerksbetreibers, die auf Montage hier sind. Ich fülle alle Felder aus, und dort, wo »Arbeitseinheit« steht, schreibe ich »Gast aus Beijing« hinein. Zwanzig Yuan gehen über den Tresen, dann schließt die Tante eine Tür für mich auf.
    Als die Kinder gegangen sind, lasse ich mich auf das Bett fallen und atme ein paar Minuten lang ein und aus, bis das zittrige Gefühl der Anspannung vergeht. »Geh früh schlafen und ruh dich aus!«, hat mir der dicke Junge noch geraten und gönnerhaft auf das Bett gedeutet. Ich gehe zum Fenster, schiebe die Vorhänge beiseite und blicke auf den Kühlturm, die Schornsteine und den Verladebahnhof. Ein Zug voller Kohle ist gerade eingerollt, Kranarme fahren herum, Ventile dampfen. Die Abendluft ist erfüllt von einem lauten Zischen und Brummen, dem Herzschlag des Kraftwerks.

BEIM ORAKEL
    Als ich am nächsten Morgen zum Tor hinausspaziere, winke ich den Wärtern zu, und sie grüßen freundlich lächelnd von ihrem Platz hinter der Glasscheibe zurück.
    »Ich bin wie die Made im Reissack«, habe ich gestern Nacht am Telefon zu Juli gesagt und mich damit gebrüstet, so tief in das Innere von Lanzhous Industrie eingedrungen zu sein, dass mich niemand mehr hervorholen könne.
    Als Antwort kam nur ein Lachen. »Glaub mir, wenn irgendjemand das will, dann bist du in zwei Minuten da raus!«
    »Und warum will es niemand?«
    Sie überlegte einen Moment, und währenddessen wurde es auch mir klar. »Der dicke Junge war der Sohn vom Chef!«
    Meine Schritte eilen dahin. Sie tragen mich an grauen Wohnsilos vorbei und an fauchenden Fabriken, und sie halten nicht an, bis sie mich hinunter an den Fluss getragen haben, wo die Geräusche und Gerüche der Schwerindustrie schwächer geworden sind. Ich sehe die Berge und höre das sanfte Gurgeln

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