The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)
Skateboard dazwischen, und die beiden lachen mich an.
Nur Cold Dogg bleibt ernst. »Fernbeziehungen sind scheiße«, knurrt er und schüttelt den Kopf.
So hat jeder etwas gesagt.
Der Kalte Hund kam selbst auf die Idee mit seinem Spitznamen: Seine Lieblingsmusiker seien Coldplay und Snoop Dogg, ich solle ihn also Cold Dogg nennen, verkündete er mir feierlich, als wir uns bei seiner Arbeit kennenlernten.
Es ist spät in der Nacht, wir sitzen zu viert um einen Plastiktisch herum, zwischen uns stapeln sich Teller mit Sojabohnen, mit Gurken in Essig und mit Dutzenden und Aberdutzenden von gegrillten Lammspießen, und die Bedienung bringt immer mehr. Es fühlt sich an wie ein Nachtmahl in Beijing.
Bruce Lee und Cold Dogg helfen neben dem Studium in einem Outdoorladen aus. Er war von oben bis unten mit chinesischen und importierten Marken vollgestopft, das meiste davon ziemlich schick und teuer, Outdoor eben. Sogar eine Kletterwand hatten sie dort. Ich suchte ein neues Paar Schuhe, und wir stellten fest, dass wir mindestens zwei Leidenschaften teilten: Wir liefen gern herum und machten Fotos.
»Hast du wirklich keine Angst, dass dein Plan sich in Luft auflösen könnte, wenn du jetzt nach Hause fährst?«, fragt der Kalte Hund, als wir das Restaurant verlassen. Es ist still, irgendwo röhrt ein Auto. Ich blicke mich um, und für einen Moment kann ich mir nur sehr schwer vorstellen, dass ich wirklich von Beijing bis hierher zu Fuß gekommen sein soll.
Ich gebe ihm eine sehr lange Antwort.
Als ich in München ankomme, flutet Sonnenschein durch das Flughafengebäude. Der Beamte an der Passkontrolle blickt irritiert von mir zu meinem Ausweisfoto und wieder zurück, dann winkt er mich genervt durch. Asienreisende, Bartträger, Hippies. Ich trage eine Plastiktüte bei mir, der Rucksack ist in Lanzhou zurückgeblieben wie eine Geisel. Die Tür zur Ankunfthalle schiebt sich auf, und einen Moment lang durchzuckt mich die Angst, dass sie nicht da sein wird. Dann fällt mein Blick in ein Paar dunkel leuchtender Augen, und es gibt keinen Zweifel mehr. Wir haben eine Woche Zeit.
Als ich sieben Tage später wieder in der Luft bin, kann ich immer noch die angenehme Kühle ihrer Hand fühlen. Das Flugzeug rast über Asien hinweg, im Bordkino kommt eine Liebeskomödie, und ich taste nach dem schmalen Zettel in meiner Hemdtasche. »Ein Freund ist heute auf deine Güte angewiesen«, steht darauf, er ist aus einem Glückskeks, den wir in einem Münchner Asienladen gekauft haben. In China gibt es zwar keine Glückskekse, aber der Zettel hat trotzdem recht: Eigentlich braucht Juli mich heute. Eigentlich sollte ich bei ihr sein.
Meine Sachen waren bereits für den Abflug gepackt, als wir aufwachten und die Nachricht zu uns durchdrang: Beben in Sichuan, Zehntausende tot oder vermisst, alle Fernsehsender waren voll davon. Juli wurde blass. Es dauerte eine Ewigkeit, ihre Familie zu erreichen, die Telefonnetze waren überlastet, dann endlich die Entwarnung: Allen ging es gut, einige Möbel waren umgefallen, sie würden zur Sicherheit draußen schlafen, wegen der Gefahr von Nachbeben.
Ich konnte trotzdem nicht bei ihr bleiben. Das Ticket war schon gebucht, ich musste weiterlaufen, so waren die Regeln. Juli lächelte tapfer, als sie mich zum Flughafen brachte. Es würde schon gehen, es war ja nichts passiert.
Das Flugzeug neigt sich auf Lanzhou zu. Ich habe die braunen Berge schon beim Hinflug überblickt, sie waren von solch erschreckenden Ausmaßen, dass ich sie nicht noch einmal sehenwill. In der Liebeskomödie geschieht irgendetwas Rührendes: Streicher ertönen, Leute fallen sich in die Arme, Mundwinkel zucken. Ich verstehe nicht, was los ist, aber ich weine leise in meinen Bart hinein.
DIESER EINE BESTIMMTE FISCH
Trichiurus Lepturus ist ein unsympathischer Fisch.
Man nennt ihn auch Haarschwanz, weil sein Körper schmal und glatt ist und er fast keine Flossen hat. Er ist in warmen Küstengewässern zu Hause und ernährt sich vom Raub, und mit seinen Fangzähnen und seinen riesigen Augen sieht er unglaublich gehässig aus.
Doch sein Fleisch ist bekömmlich. Auf Chinesisch heißt er Daiyu, »Streifenfisch«, und wird überall auf den Märkten der Großstädte zum Verkauf angeboten.
Nur in Lanzhou anscheinend nicht.
»Muss es denn unbedingt dieser eine bestimmte Fisch sein?«, fragt die Verkäuferin verwirrt und zeigt auf ihr Angebot, das das halbe Untergeschoss eines Supermarkts einnimmt. Eisgekühlte Augen starren mich an, Krebse
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