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The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Rehage
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Tomaten!« Er guckt mich an und grinst. »Da fragt man sich doch: Wie können die bei so einem Essen nur so dick werden?«
    Er gluckst in sich hinein, und auch mir gefällt die Vorstellung von einem Brot mampfenden Tomatentrupp aus dem Ruhrgebiet. Auf Montage von Bottrop nach Binxian und dann Buddhastatuen reparieren und Brot essen.
    »Die haben bestimmt nur deshalb ihr eigenes Essen mitgenommen, weil sie Angst hatten, Durchfall zu kriegen«, sage ich, und als mich der Alte zweifelnd anblickt, erzähle ich ihm, wie schwierig es für Europäer in China sein kann. Die ständige Scheißerei. Das Suchen nach Toiletten.
    »… aber nach einer Zeit der Gewöhnung wird alles gut!«, beeile ich mich hinzuzufügen, als ich seinen mitleidigen Blick bemerke. Dann lenke ich das Gespräch auf die Kulturrevolution und darauf, wie traurig es mich mache, die kopflosen Statuen überall zu sehen.
    Der Alte wiegt den Kopf. »Das war nicht die Kulturrevolution. Das war Tang Wuzong.«
    Er erzählt mir von dem Kaiser der Tang, der fast zwei Jahrhunderte nach Wu Zetian regierte und als Buddhistenverfolger in die Geschichte einging. In seinen Augen war der Buddhismus ein ausländisches Übel, das seine Herrschaft bedrohte, und er ließ Tausende Tempel zerstören und Hunderttausende Mönche und Nonnen in den Laienstand zurückversetzen, um ihren Glauben zu verdrängen und an ihre Pfründe zu kommen.
    »Den Statuen den Kopf abzuschlagen war seine Art zu sagen: Ich bin mächtiger als ihr!« Der Alte lacht.
    Am nächsten Tag ziehe ich meine Jacke aus. Ich laufe im T-Shirt, und mir ist trotzdem warm. Vereinzelte Wölkchen schweben am Himmel, und die Bäume strecken ihre Äste nach ihnen aus. Mit jedem Schritt verändert sich dieses Land: Mal besteht es meilenweit nur aus Staub, und dann blüht es wieder wie ein Garten.
    Eine Brücke auf Stelzen hebt die Straße hoch über die Landschaft hinweg. Sie beschreibt eine lange Kurve, und während ich sie überschreite, kann ich ihren Schatten tief unter mir sehen. Und meinen eigenen. Ich bin nichts als ein winziger Punkt, der sich langsam bewegt. Darunter ein brauner Fluss. Jemand treibt an einer Furt eine Kuh hinüber, in der Ferne sind Häuser und Felder zu sehen. Ich schaue mir selbst zu, wie ich mich als Punktauf der Brücke entlangbewege, und mein Bauch zieht sich zusammen vor Glück.
    Die Leute in den Dörfern sind gut gelaunt. Der Winter ist vorbei und der Sommer noch nicht da, und dann taucht zum allgemeinen Amüsement auch noch ein bärtiger Ausländer auf. Einmal kommt eine ganze Menge zusammen, es ist wie eine kleine Feier am Straßenrand. Ob ich A Gan kenne, will einer wissen, und alles lacht. Forrest Gump, mal wieder. Dann kommt ein anderer auf den Witz mit den Trekkingstöcken, die ich mir in Xi’an gekauft habe: Ob ich etwa auf der Suche nach einer Skipiste sei? Brüllendes Gelächter. Nur ein kleiner Junge bleibt ernst. Er blickt mich aufmerksam an und fragt: »Bist du Amerikaner oder Japaner?« Ich verkneife mir mein Lachen, denn er sieht nicht so aus, als ob er es als Witz gemeint hat.
    Bei einer Schüssel Nudeln erfahre ich, dass Ausländer hier sonst niemals anhalten. Man sieht sie zwar manchmal, in Bussen und Autos, auf Motorrädern und Fahrrädern, aber sie fahren immer nur vorbei.
    »Die sind doof!« Ich mache eine wegwerfende Handbewegung. »Wenn die hier nicht anhalten, dann sind sie selber schuld!«
    Lachen und Schulterklopfen, eine zweite Portion Nudeln, ein grinsendes Gruppenfoto. Der Tag ist perfekt.
    Wenige Kilometer weiter sehe ich einen Menschen, der nicht läuft, sondern kriecht. Es muss eine Frau sein, aber ich kann ihr Gesicht nicht genau erkennen. Sie trägt einen dicken Mantel und hat ein Tuch um den Kopf gewickelt, das vielleicht einmal weiß war. An den Händen hat sie Arbeitshandschuhe und an den Knien Polster. Sie hält den Kopf nach unten und bewegt sich auf allen vieren in die gleiche Richtung wie ich.
    Ich bin verwirrt. Das letzte Mal, dass ich jemanden bei einer ähnlichen Beschäftigung gesehen habe, war vor dem Jokhang-Tempel in Lhasa. Dort warfen sich die Gläubigen rituell auf den Boden, Hunderte Male, die Jungen doppelt so oft wie die Alten.
    Wo will diese Dame hin? Vor uns liegen muslimische Gebiete, und wenn sie nach Tibet möchte, hätte sie sich dann nicht etwas weiter südlich halten müssen? Hat sie sich am Ende in der Richtung vertan?
    Ich räuspere mich und spreche sie vorsichtig an, doch sie blickt nicht einmal zu mir auf. Ein Fahrradfahrer

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