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The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Rehage
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blicke nach oben, suche einen Weg über die Hügel hinweg, einen Ziegenpfad vielleicht, doch da ist nichts, nur Gestrüpp. Ich setze die Stirnlampe auf, es geht nicht anders.
    Tunnel folgt auf Tunnel, Staub legt sich auf Staub. Ich versuche, den Tunnelgeschmack mit Cola hinunterzuspülen.
    Als ich abends an einer Siedlung mit ein paar Häusern und einer Tankstelle ankomme, bin ich so hungrig, dass ich mir zuallererst etwas zu essen bestelle, ohne mich vorher darum zu kümmern, wo ich übernachten werde. Natürlich esse ich viel zu viel. Als ich schließlich fertig bin, mir den Bauch halte und den Wirt nach einem Zimmer frage, bin ich über die Antwort bestürzt: alles belegt.
    Anscheinend gibt es ein Bauprojekt in der Nähe, und deshalb ist das gesamte Dorf voller Wanderarbeiter. Ich blicke mich um, und jetzt fällt es mir auch auf: Das sind keine Lkw-Fahrer. Sie tragen weder Kragenhemden, noch haben sie Handytaschen oder einen Schlüsselbund am Gürtel. Dafür zeigen sie den scheuen und neugierigen Blick der Heimatlosen, und sie sehen sehr müde aus.
    Mühsam wuchte ich mir mein Gepäck auf den Rücken, dann greife ich nach den Trekkingstöcken und winke in die Runde. Draußen ist es bereits dunkel. Ich bin dreißig Kilometer bis hierher gelaufen, und bis in den nächsten Ort sind es noch einmal zwanzig. Ein paar Leute folgen mir bis vor die Tür. Ich winke noch einmal, sie winken schüchtern zurück, dann setze ich mich langsam in Bewegung. Jeder Schritt ist anstrengend. Ich habe zu viel gegessen.
    In dieser Nacht erwartet mich noch ein weiterer Tunnel, derschlimmste von allen. Eine ganze Stunde, bevor ich ihn erreiche, weiß ich bereits, dass er vor mir liegt, denn ich erblicke eine scheinbar endlose Schlange von stehenden Fahrzeugen. Fast alle sind Laster, nur ein paar Kleinwagen stehen dazwischen wie Zwerge. Als ich einen der Fahrer frage, was los ist, seufzt er und sagt: »Unfall. Kann man nichts machen.«
    Ich zähle die Fahrzeuge nicht, aber es müssen Hunderte sein, an denen ich vorbeikomme, bis ich den Eingang erreiche. Der Tunnel ist unendlich lang. Ungefähr in seiner Mitte stehen zwei Polizisten vor ihrem Wagen. Ich weiß nicht, wie sie es geschafft haben, bis hierhin vorzudringen. Sie gestikulieren aufgeregt. Dann erblicke ich den Grund für den Stau: zwei Sattelschlepper, die sich hoffnungslos ineinander verkeilt haben. Ich bleibe stehen und betrachte die Szenerie: die Polizisten und ihr Auto, die gigantischen Maschinen, das gelbe Licht des Tunnels und der Scheinwerfer, die endlosen Schlangen von Fahrzeugen. Wie soll das gehen? Ohne Bürgersteig und ohne Pannenspur, wie wollen sie da den Tunnel nur jemals wieder frei kriegen?
    Einer der beiden Polizisten hat mich entdeckt. Er zeigt mit dem Finger auf mich und ruft: »Du!« Sein Blick geht panisch in die Richtung, aus der ich gekommen bin, dann zu seinem Kollegen. Der zuckt nur mit den Schultern. Er sieht aus, als ob er noch etwas sagen möchte, doch dann lässt er den Arm sinken und winkt mich resigniert weiter. Seine Stimme schallt mir hinterher. »Geh raus! Hier drinnen ist es zu gefährlich!«
    Als ich diesmal den Ausgang erreiche, verlasse ich die Beleuchtung des Tunnels und trete hinaus in die Nacht. Der Stau setzt sich fort, auch in dieser Richtung ist er kilometerlang. Es ist eine Atmosphäre wie bei einem abendlichen Picknick: Die Motoren und Scheinwerfer sind abgestellt, aus der einen oder anderen Kabine dringt Musik, und die Leute sitzen vor ihren Fahrzeugen zusammen und unterhalten sich. Manche spielen Karten, auch die eine oder andere Flasche Schnaps ist zu sehen. Ein Lkw-Fahrer rasiert sich in seinem Rückspiegel, ein anderer schläft. Länger als eine Stunde trotte ich an der Fahrzeugschlange vorbei. Und obwohl mir die Füße wehtun, fühle ich mich leicht: Ich kann gehen, wohin ich will.
    Ich pausiere einen Tag in der hübschen kleinen Stadt Binxian und erfreue mich an der Pagode in ihrer Stadtmitte und daran, dass das Zeichen für Bin das gleiche ist, das auch in Julis chinesischem Namen vorkommt. Es heißt »verfeinert« oder »verziert«. Wir telefonieren wieder. Das ist gut.
    Hinter Binxian beginnt ein Gebiet von Höhlentempeln. Ich klettere über wackelige Leitern und balanciere auf Holzgerüsten und stehe plötzlich vor der sanft lächelnden Statue von Xuan Zang, dem wohl berühmtesten aller chinesischen Reisenden. Er ist in prächtige Kleider gehüllt und hat eine verzierte Kappe auf dem Kopf.
    Xuan Zang war ein buddhistischer

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