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The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Rehage
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vor, es mit einem Streifen Leder auszukleiden.
    Leder?
    »Keine Sorge, es ist ganz weich«, sagt er, doch ich bekomme es mit der Angst zu tun und laufe weg.
    Lieber trage ich noch einen Tag lang meine Badelatschen und schaue mir den Ort an. Ich besichtige einen daoistischen Tempel, der Palast der Wangmu heißt. Dort mache ich ein Gruppenfoto mit drei bärtigen Mönchen und einer Nonne, und ich erzähle ihnen von meinem Freund Meister Yan, den ich vor fast tausend Kilometern in seinem Bergtempel in Huozhou kennengelernt habe. Ich trinke immer noch den Tee, den er mir geschenkt hat.
    In dem Berg unter dem Tempel sind Kammern mit buddhistischen Statuen. Sie werden von den Leuten »Höhlen der tausend Buddhas« genannt und sind sogar noch älter als die Dynastien der Tang und der Sui. Sie stammen aus dem fünften Jahrhundert, aus der Zeit der Nördlichen Wei, als das Reich noch gespalten war.
    Als ich die Höhlen betrete, dämpfe ich unwillkürlich meine Schritte. Die Statuen schimmern geheimnisvoll im Halbdunkel, und es erscheint mir unglaublich, wie sie so viel überleben konnten: die Buddhistenverfolgung des Tang Wuzong, die Eroberungen der Mongolen im zwölften Jahrhundert, die Kulturrevolution. Ich möchte sie fotografieren, doch als ich meine Kamera hervorhole, wird mir barsch mitgeteilt, dass man dafür eine Genehmigung benötige.
    Ich gehe zurück zum Markt, zurück zu dem Schuhmacher und drücke ihm meinen Wanderstiefel in die Hand. Er nickt, und es dauert nur eine Zigarette lang, dann haben Messer, Schere, Kleber, Hammer, Nadel und Garn ihre Arbeit getan. Eine kleine Menschenmenge hat sich um uns herum versammelt. Sie fragen, was ich vorhabe. Ich sage, ich will nach Pingliang. Der Bus fährt stündlich, sagen sie. Am nächsten Morgen gehe ich los.
    Ich folge der Landstraße durch das Tal in Richtung Nordwesten. Die Schuhreparatur hat nicht so gut geklappt wie gewünscht, aber wenn ich zwei Paar Socken anziehe, lässt es sich aushalten. Die Straße ist breit, fast keine Fahrzeuge sind unterwegs. Einmal höre ich hinter mir hohe Stimmen, und als ich mich umdrehe, steht da eine Gruppe von Kindern. Sie kichern, und die Ältesten werden vorgeschickt, um mich zu fragen, was ich hier mache.
    Sie schlagen vor, zusammen zu ihrem Lieblingsplatz am Fischteich zu gehen. Er ist inmitten von Gewächshäusern unten am Fluss. Ich sehe nicht den Schatten eines Fisches, doch das macht nichts. Zwei kleine Mädchen rennen mit meinen Trekkingstöcken herum, die anderen sitzen neben mir am Teich. Wir unterhalten uns über alles Mögliche:
    Ist meine Schwester schön? – Ja, sehr.
    Trinken wir Ausländer wirklich so viel Milch? – Mehr als Chinesen, vor allem wenn wir noch klein sind.
    Wie groß bin ich, und werde ich noch weiter wachsen? – Einen Meter zweiundneunzig, und ich habe mit vierzehn aufgehört, größer zu werden.
    Ist Gehen langweilig? – Manchmal schon.
    Ob ich denn niemals Heimweh hätte?
    Wir bleiben fast zwei Stunden lang an unserem Lieblingsplatz sitzen, und als ich gehe, habe ich einen Kranz aus Blüten im Haar. Ich rufe meine Schwester Becci in Bad Nenndorf an, und sie lacht und sagt, ich würde in letzter Zeit so viel über Kinder sprechen, dass sie sich schon frage, ob ich nicht gern selbst welche hätte.
    In diesen Tagen erreiche ich das Land der Hui. Ich habe sie bereits in Beijing gesehen und in Xi’an, wo ihre größte Moschee steht, aber dies ist das erste Mal auf meinem Weg, dass sie ein ganzes Dorf für sich haben.
    Die Hui sind vielleicht die komplizierteste der fünfundfünfzig offiziellen Minderheiten Chinas. Natürlich ist ein Tibeter nicht gleich einem Tibeter, und auch ein Mongole ist nicht gleicheinem Mongolen, aber wenigstens sehen sie anders aus als die Han-Chinesen und sprechen ihre eigenen Sprachen. Aber was ist ein Hui?
    Ihr Hauptmerkmal ist, dass sie Moslems sind und zu keiner der anderen Minderheiten gehören. Sie sehen nicht sehr viel anders aus als die Han, sie besitzen keine eigene Sprache und sind auch keine besonders einheitliche Gruppe. Viele von ihnen sind Nachkommen von Händlern, die vor Jahrhunderten auf den Seidenstraßen unterwegs waren, von Persern, Arabern, Usbeken, Tadschiken, andere sind Nachfahren von zum Islam konvertierten Chinesen. Die Hui leben im ganzen Land, aber besonders viele von ihnen leben an den Seidenstraßen.
    Als Erstes treffe ich auf einen alten Mann mit einem langen Rauschebart, der mich von einem Hocker aus anlacht, als ich durch sein Dorf laufe. Dann

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