The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)
Rücken lade, zeigt er auf mich und lässt einen seiner Ga-Texte los. »Ga, gagaga, ga!« Die Frau lächelt, Doudou steckt sich wieder die Nuckelflasche in den Mund, ich lehne auf meinen Wanderstöcken und blicke sie fragend an.
»Was hat er diesmal gesagt?«
»Er findet, dass dein Rucksack sehr schwer aussieht.«
BUDDHISTEN
Wu Zetian hieß eigentlich Wu Zhao, und während ich auf ihren Grabhügel zulaufe, erscheint der mir größer als der von Qin Shihuang, viel größer. Er ragt aus der matschigen Landschaft auf wie ein Berg.
Die Verkäuferin am Tickethäuschen versteht meine Frage zunächst nicht, dann fängt sie an zu lachen: Nein, erklärt sie mir, das hier sei kein künstlicher Hügel wie der, den der Erste Kaiser sich für sein Grab hatte aufschütten lassen. Die Tang-Kaiser hätten für ihre Grabanlagen natürliche Berge genutzt.
Eine steinerne Allee führt auf den Berg hinauf. Zu beiden Seiten stehen Statuen von Pferden und Gelehrten, viele haben keine Köpfe mehr. Ein alter Mann mit Hut steht gedankenverloren vor einem der Pferde. Als ich näher komme, höre ich ihn leise mit sich selbst sprechen, sonst ist alles still. Der Himmel ist grau, es nieselt. Perfektes Wetter, um Tote zu besuchen.
Wu Zetian liegt seit tausenddreihundert Jahren hier. Wenn ich versuche, sie mir vorzustellen, dann ist sie nicht so zart wie die Konkubine Yang Guifei und auch nicht so bitter wie die Kaiserinwitwe Cixi. Für mich ist sie eher wie Maos Ehefrau Jiang Qing: eine machtbewusste Tante mit einem samtenen Klositz. Nur viel schöner.
Als Wu Zhao im Jahr 637 an den Hof der Tang kam, war sie ein dreizehnjähriges Mädchen, und es deutete eigentlich nichts darauf hin, dass sie einmal das ganze Reich auf den Kopf stellen würde.
Doch sie war anders als die anderen. Indirekte Macht war ihr nicht genug. Sie wurde fünfundsechzig Jahre alt, bevor sie sich dazu entschloss, die Tang zu stürzen und ihre eigene Dynastie zu errichten, die Zhou. Sie gab sich den Titel »heilige und göttliche Kaiserin«. Ihre Herrschaft bestand bis zu ihrem Tod, dreizehn Jahre lang.
Von ihrem Grab selbst gibt es nicht viel zu sehen: einen niedrigen Turm, eine Gruppe von Statuen, eine Stele. Die Statuen stellen Männer in unterschiedlichen Gewändern dar, in Reih und Glied aufgestellt, die Arme in den Ärmeln zusammengeschoben. Fast allen fehlen die Köpfe, und ich muss an die dumpfen Horden der Kulturrevolution denken, an den zerstörten Tempel beim Chilischotenberg kurz vor Pingyao und an Opa Lius Seufzen, als er über die Zeit von damals sprach.
Eine Weile laufe ich ziellos und leicht angegruselt hin und her, dann bleibe ich irgendwann vor der Stele stehen. Sie ist doppelt so hoch wie ein Mann und aus hellem Stein. Und sie ist – völlig unbeschriftet. Ich umkreise sie zweimal, um mich zu vergewissern, doch es stimmt: Kein einziges Zeichen ist auf ihr zu erkennen, sie ist vollkommen glatt.
Stand hier nie etwas geschrieben? Oder wurde es später ausradiert? Ich starre die leere Steinfläche an, und je sanfter der Nieselregen mein Gesicht benetzt, desto mehr verstehe ich, wie gut die Stele zu Wu Zetian passt. Es ist, als ob die Kaiserin, die für ihre Schönheit gepriesen wurde und für ihre Grausamkeit verdammt, die Frau, die den Buddhismus zur Staatsreligion erhob und die Dynastie stürzte, als ob sie sagen würde: Denk über mich, was du willst.
Während ich auf einem Feldweg über die Nordflanke absteige, stelle ich mir vor, was für Schätze wohl in dem Berg unter mir verborgen sein mögen. Es ist seltsam, dass die Regierung bisher weder das Grab von Qin Shihuang noch das von Wu Zetian zu öffnen gewagt hat. Die technischen Möglichkeiten seien noch nicht ausgereift genug, heißt es. So viel Geduld und Umsicht scheinen zwar nicht recht passen zu wollen zu den weißen Linien auf dem Boden und zu den vielen abgerissenen Altstädten, aber ich freue mich trotzdem darüber.
Ich folge dem Feldweg, er schlängelt sich ins Tal hinab. Der Himmel ist grau, die Welt hat keine Konturen, es nieselt ein bisschen von der Seite. Es ist fast wie zu Hause in Bad Nenndorf.
Das Land ist bergig, doch es ist anders als damals in Shanxi: Dort schlängelte sich die Landstraße in tausend Windungen über die Berge hinweg, während sie hier verhältnismäßig gerade verläuft und dann in einem gähnenden Schlund endet, der in den Berg hineinführt.
Beim ersten Mal bleibe ich noch stehen. Über dem Tunneleingang hängt ein Schild: FÜR FUSSGÄNGER VERBOTEN. Ich
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