The New Dead: Die Zombie-Anthologie
war sich dessen sicher. Das ausgedörrte Gesicht und die toten blassen Augen waren genau auf den Zaun gerichtet, so als habe er all die Jahre nur darauf gewartet, dass ein Besucher an sein Gartentor kam.
Tom stieß das Tor mit dem Fuß an. Es war verschlossen.
Langsam beugte er sich über das Tor und entriegelte es. Das Ganze dauerte über zwei Minuten. Vor Nervosität lief Benny der Schweiß über das ganze Gesicht, und er konnte den Blick nicht von dem Zombie abwenden.
Tom drückte mit dem Knie gegen das Tor, woraufhin es aufschwang.
„Ganz langsam“, mahnte er. „Rotes Licht, grünes Licht, bis zur Tür.“
Benny kannte das Spiel, obwohl er noch nie eine funktionstüchtige Ampel gesehen hatte. Sie betraten den Garten. Die alte Frau im ersten Garten drehte sich plötzlich zu ihnen um. Der Zombie im Bademantel ebenfalls.
„Halt“, zischte Tom. Er drückte die Pistole schussbereit eng an die Brust. „Wenn wir gezwungen sind loszurennen, dann lauf ins Haus. Wir können uns einschließen und warten, bis sie sich wieder beruhigt haben.“
Die alte Dame und der Mann im Bademantel behielten sie zwar im Blick, kamen jedoch nicht näher.
Eine Minute lang, die Benny wie eine Stunde erschien, verharrten sie so.
„Ich habe Angst“, gestand Benny leise.
„Ist schon okay, wenn du Angst hast“, flüsterte Tom beruhigend. „Das bedeutet, dass du klug bist. Nur keine Panik. Das würde dich umbringen.“
Benny hätte beinahe genickt, beherrschte sich jedoch im letzten Augenblick.
Tom wagte einen zaghaften Schritt und kurz darauf einen zweiten. Dieser war ungleichmäßig und unbeholfen, und sein Körper wankte leicht hin und her, als hätte er steife Knie. Der Zombie im Bademantel wandte sich um und betrachtete eine Wolke, die über das Tal hinwegzog, doch die alte Dame beobachtete sie weiterhin. Ihr Mund öffnete und schloss sich, als würde sie auf etwas herumkauen.
Schließlich drehte auch sie sich um und schaute den vorbeiziehenden Wolken nach.
Tom machte einen Schritt nach dem anderen, und Benny folgte ihm vorsichtig. Das Ganze dauerte quälend lange, doch Benny hatte das Gefühl, dass sie noch immer viel zu schnell waren. Er glaubte zu spüren, dass eine riesige Menge hungriger Zombies sich ihnen plötzlich unter Ächzen aus trockenen und staubigen Kehlen zuwenden und sie umzingeln würde.
Tom erreichte die Tür und drehte den Knauf.
Mit einem leisen Klicken sprang die Tür auf. Tom schob sie vorsichtig auf und trat in das Dunkel des Hauses. Benny warf noch schnell einen Blick auf das Fenster, um sicherzugehen, dass der Zombie noch dort stand.
Tat er aber nicht.
„Tom!“, stieß Benny nervös hervor. „Pass auf!“
Aus dem Schatten des Eingangsbereichs griff eine dunkle Gestalt nach Tom. Sie krallte sich mit wachsbleichen Fingern an ihm fest und stöhnte vor Hunger. Benny schrie auf.
Nun geschah etwas, das Benny nicht verstand. Tom war da, dann jedoch war er plötzlich fast verschwunden. Der Körper seines Bruders war eine einzige verschwommene Abfolge von Bewegungen, als er sich neben den rechten Arm des Zombies drehte, duckte, ihn von hinten an den Schienbeinen packte und seine Hüfte in den Rücken des früheren Harold Simmons rammte. Der Zombie kippte wie vom Blitz getroffen vornüber aufs Gesicht. Staubwolken wirbelten aus dem Teppich auf. Sofort sprang Tom dem Zombie auf den Rücken und drückte dessen Schultern mit den Knien auf den Boden.
„Mach die Tür zu!“, bellte Tom, während er eine dünne Seidenschnur aus einer seiner Jackentaschen zog. Mit einer einzigen geübten Bewegung schlang er die Schnur um die Handgelenke des Zombies und verknotete sie hinter dessen Rücken. Er blickte hoch. „Die Tür, Benny! Jetzt !“
Benny erwachte aus seiner Starre und bemerkte aus den Augenwinkeln, dass sich vor dem Haus etwas bewegte. Als er aufblickte, sah er, wie die alte Dame, die beiden kleinen Mädchen und der Zombie im Bademantel über den Gartenweg auf das Haus zu schlurften. Hastig schlug er die Tür zu und schob den Riegel vor, ehe er sich gegen die Wand lehnte und nach Luft schnappte, als sei er es gewesen, der einen Zombie zu Boden gerungen und gefesselt hatte. Allmählich dämmerte ihm, dass er mit seinem Warnruf die anderen Zombies angelockt hatte.
Tom ließ ein Messer aufspringen und schnitt die Seidenschnur durch. Mit seinem ganzen Gewicht kniete er auf dem sich windenden Zombie und bildete eine große Schlinge mit der Schnur. Der Zombie warf den Kopf hin und her und versuchte
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