The Road of the Dead
das Ganze sehr zögernd – gezwungen und vorsichtig –, aber immerhin sprachen sie miteinander. Ich hörte eine Weile zu, doch das meiste war unbedeutendes Zeug – was man eben so redet, ehe man über das spricht, worüber man wirklich reden will –, deshalb ließ ich sie weitermachen und schenkte meine Aufmerksamkeit der fremden Landschaft, die draußen vorbeizog.
Es war beeindruckend.
Ich hatte natürlich in Büchern über das Dartmoor gelesen, vor allem in den letzten paar Tagen, doch Bücher sind kein Ersatz für die Realität – und die Realität war unglaublich. Solch eine Leere hatte ich noch nie gesehen.
Wir hatten inzwischen die saftigen grünen Wiesen hinter uns gelassen und fuhren mitten hinein in das Moorgebiet. Die Straße |57| vor uns, die sich endlose Anhöhen hinaufzog, wurde schmaler, düsterer und immer wilder und in der Ferne verdunkelte sich die Landschaft unter den Schatten drohender Berge. Der Himmel über dem Moor war grau und unendlich und die Luft wurde von Minute zu Minute kälter. Alles wirkte blass und leblos, das knochenweiße Gras am Straßenrand, die riesigen, über die Anhöhen verteilten Findlinge, die bleichen Berge im Hintergrund. Die Leere ging endlos so weiter. Es gab keine Häuser, keine Autos, keine Läden, keine Menschen, kein Garnichts. Nur die einsame Straße, die ins Nirgendwo führte.
In der Ferne vor dem Horizont ragten dunkle Wälder auf. Auf der Hochebene zwischen den Wäldern sprangen unheimlich geformte Felsnasen steil aus dem Boden und unter den schrägen Strahlen der Frühabendsonne zeichneten die Silhouetten der verwitterten Felsen albtraumhafte Gesichter in den Himmel: Menschen, Hunde, Riesen, Dämonen. Um die Felsen herum standen merkwürdig verkümmerte Bäume, deren trockene Äste vom Wind verformt waren.
Die Bäume sprachen zu mir von letzten Atemzügen.
Mir wurde kalt ums Herz.
»Das sind Tors«, brach Abbie in meine Gedanken ein.
»Wie bitte?«
»Diese Felsen in der Ferne – sie heißen Tors.«
»Ja«, sagte ich, »ich weiß.«
Sie sah mich an und ich bedauerte sogleich den Ton in meiner Stimme. Ich hatte nicht unverschämt klingen wollen, es war nur so rausgerutscht. Ich lächelte sie an und versuchte es wieder gutzumachen.
»Ich erinnere mich, dass ich darüber etwas gelesen habe«, sagte |58| ich verlegen. »Über die Tors, meine ich. Sie bestehen aus uraltem Granit, der in Millionen von Jahren aufgrund chemischer Prozesse erodiert ist …«
»Ehrlich?«
Ich nickte. Sie starrte mich an und ich wusste, ich sollte besser den Mund halten. Aber ich war verlegen, und wenn ich verlegen bin,
kann
ich den Mund nicht halten. Mein Gehirn gerät durcheinander und ich fange an loszubrabbeln wie ein Idiot. »Entschuldigung«, murmelte ich, »ich nehme an, das wusstest du schon, oder? Über die Tors, meine ich. Nicht dass es wichtig ist … ich meine, es ist egal, ob du es gewusst hast oder nicht … verstehst du, ich hab nur gemeint … ich hab gar nichts
gemeint
…«
Abbie hatte sich zu Cole gewandt und sah ihn jetzt mit hochgezogenen Augenbrauen an, als ob ich nicht richtig im Kopf wäre.
Cole zuckte bloß die Achseln.
Jetzt starrte Abbie wieder zu mir. Ich sah Cole an. Er warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu. Ich nickte, lächelte Abbie zu und schaute wieder aus dem Fenster.
Ich war mir nicht sicher, was Cole mir mit seinem Blick sagen wollte, aber wahrscheinlich fand er, ich sollte die Klappe halten und zuhören.
Also tat ich das.
Während der Bus weiter durchs Moor rumpelte und die Landschaft immer kälter und grauer wurde, hielt ich den Mund und hörte zu.
Cole und Abbie redeten jetzt ernsthaft – über das, worüber sie wirklich reden wollten. Ich hörte, wie Abbie fragte, was wir hier vorhatten, und wie Cole sorgsam vermied, ihr irgendetwas preiszugeben. |59| Ich hörte sie fragen, wie es Mum ginge, und Cole darauf ein paar gemurmelte Nichtigkeiten antworten. Ich hörte, wie er sie nach Rachel fragte, und wie sie erzählte, dass sie am Boden zerstört, zutiefst aufgewühlt und verletzt war. Untröstlich.
Sie log nicht. Ich spürte ihren Schmerz. Ich hörte ihn in ihrer Stimme und sah ihn in ihren Augen. Ihre Gefühle für Rachel waren echt. Nein, gelogen war das nicht. Aber sie erzählte auch nicht die Wahrheit.
»Kannst du uns sagen, was passiert ist?«, fragte Cole.
Sie sah ihn an. »Hat euch das die Polizei nicht erzählt?«
»Doch, schon, aber du warst hier, oder? Du weißt, wie es gewesen
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