The Road of the Dead
ist.«
Ihre Augen blinzelten zögerlich.
Cole meinte: »Es würde uns wirklich helfen, das von dir zu hören. Ich weiß, es ist schwer …«
»Ich war nicht wirklich dabei«, sagte sie. »Nicht, als es passiert ist.«
»Wo warst du?«
»Ich war bei meiner Schwiegermutter.« Sie hielt inne, dachte darüber nach, holte dann tief Luft und begann zu erzählen. »Zuvor war ich an dem Abend mit Rachel ins Dorf gelaufen und wir hatten im Pub noch kurz was getrunken. Sie hat den letzten Bus zurück nach Plymouth genommen. Der fährt um halb neun.«
»Wann seid ihr bei euch zu Hause los?«, fragte Cole.
»Gegen Viertel vor sieben. Das Dorf ist nicht weit … ungefähr zwanzig Minuten zu Fuß. Vielleicht eine halbe Stunde. Als wir ankamen, begann es zu regnen. Ich weiß noch, wie wir vor dem Pub standen, zum Himmel schauten und diese riesigen schwarzen Regenwolken über das Moor auf uns zukommen sahen. Ich hab |60| noch versucht, Rachel zu überreden, eine Nacht länger zu bleiben und erst am andern Morgen zurückzufahren, doch sie wollte nicht mit sich reden lassen. Als ich meinte, es würde einen ziemlich schlimmen Sturm geben, hat sie bloß mit den Schultern gezuckt und gesagt: ›Lass ihn kommen. Lass ihn nur kommen.‹«
Ich sah Cole an. Sein Gesicht verriet nichts, aber ich wusste, was er dachte. »Lass es kommen« ist etwas, das Dad oft sagt. Wenn sich irgendwas Schlimmes am Horizont zusammenbraut, zuckt er bloß mit den Schultern und sagt: »Lass es kommen. Lass es nur kommen.«
»Na ja«, fuhr Abbie fort, »wir gingen also in den Pub und tranken was, und während wir dort saßen, fing der Sturm an.« Sie schüttelte den Kopf. »Gott, es war unfassbar. So was hab ich noch nie erlebt. Der Himmel öffnete einfach seine Schleusen und der Regen stürzte bloß noch herab. Es war wie ein Monsun oder so.« Sie schaute aus dem Busfenster. »Das alles hier war überspült. Die Straße, das Moor. Siehst du …« Sie deutete neben die Straße. »Man kann immer noch den ganzen Dreck sehen, den es aus dem Moor heruntergespült hat.«
Ich schaute aus dem Fenster. Der Straßenrand war übersät mit allerhand Angeschwemmtem – getrocknetem Schlamm, Blättern und Zweigen.
Abbie schüttelte wieder den Kopf. »Ich hab noch zu Rachel gesagt, bei dem Sturm kannst du unmöglich zurückfahren. Das hab ich ihr wirklich
gesagt
. Ich sagte, ich würde Vince anrufen und ihn bitten, uns abzuholen, bevor es noch schlimmer würde, aber sie hat sich nicht umstimmen lassen. Sie sagte, sie will nach Hause.« Abbie sah zuerst Cole an, dann mich. »Sie meinte, sie würde ihre Familie vermissen.«
|61| Cole schloss für einen Moment die Augen. Ich schloss meine nicht, denn ich wusste, wenn ich das tat, würde ich anfangen zu weinen.
Cole fragte: »Wer ist Vince?«
»Mein Mann.«
Cole nickte. »Aber Rachel hat dich nicht mit ihm telefonieren lassen?«
»Nein. Sie wollte nicht mal, dass ich sie bis zur Bushaltestelle begleitete. ›Es ist doch Unsinn, wenn wir uns beide durchweichen lassen‹, meinte sie.«
»Wie spät war es, als sie losgegangen ist?«, fragte Cole.
»Gegen acht.«
»Was hast du dann gemacht?«
»Nichts. Ich bin noch ein bisschen im Pub geblieben, danach bin ich um die Ecke zu meiner Schwiegermutter. Sie wohnt in der Straße hinter dem Pub.«
»Und das war das letzte Mal, dass du Rachel gesehen hast – als sie den Pub verlassen hat?«
Abbie nickte. »Später hab ich rausgefunden, dass der Bus durch den Sturm ungefähr eine Stunde Verspätung hatte, aber eingestiegen ist sie auf jeden Fall. Der Fahrer erinnert sich an sie. Doch der Bus ist nie in Plymouth angekommen. Er musste anhalten …« Sie beugte sich zur Seite und zeigte durch die Windschutzscheibe auf die Straße vor uns. »Da drüben war es. Seht ihr den kleinen steilen Abhang am Ende der Straße?«
Wir schauten beide aus dem Fenster. Ungefähr achthundert Meter vor uns senkte sich die Straße und schwenkte nach rechts auf einen steilen, mit Bäumen bewachsenen Abhang zu. Als wir näher kamen, sahen wir, wo der Abhang heruntergekommen war. |62| Berge roter Erde und umgestürzte Bäume waren von der Straße geräumt worden.
»Die Straße war blockiert«, sagte Abbie. »Nichts ging mehr. Der Bus musste umdrehen und zurückfahren. Inzwischen war es schon ziemlich spät und der Zustand der Straße wurde immer schlimmer. Als der Bus wieder in Lychcombe ankam, war es nach elf. Der Fahrer erinnert sich, dass Rachel ausgestiegen ist. Er hat sie noch
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