The Road of the Dead
ziemlich klar sehen; ihre schlafende Haut, ihr glänzendes schwarzes Haar, ihr Gesicht auf dem Kopfkissen neben mir.
Geh nach Hause, Ruben
, flüsterte sie.
Lass die Toten die Toten
begraben. Geh nach Hause.
Geh nach Hause.
|119| Sieben
I ch bin Morgenstille nicht gewöhnt. Gewöhnt bin ich das Schlagen und Knirschen des Autofriedhofs, das Stöhnen der Autopressen und Rattern der Schrottmagneten, das Dröhnen des Verkehrs auf den Straßen Ost-Londons. Als ich also am Morgen aufwachte und alles war still, brauchte ich eine Weile, bis ich begriff, wo ich war. Und als ich es schließlich begriff – Dartmoor, Farmhaus, Schlafzimmer –, merkte ich erst, wie müde ich war. Ich hatte nur ungefähr eine Stunde geschlafen. Meine Augen waren verquollen, mein ganzer Körper tat weh und mein Kopf war total dicht und brummte.
Ich schloss die Augen und versuchte noch mal einzuschlafen, doch ich wusste, es ging nicht. Sonnenlicht drang durchs Fenster, Vögel sangen … alles war
zu
still. Ich hörte zu viel: Abbie und Vince unten in der Küche, Cole im Badezimmer, einen Hund, der irgendwo in der Ferne bellte. Und jetzt drang auch noch Frühstücksgeruch die Treppe herauf – Schinken und Eier, Toast, Kaffee …
Das war ja alles sehr schön – trotzdem wünschte ich mir, nicht hier zu sein. Ich wäre lieber zu Hause gewesen – bei mir daheim, in meinem Zimmer, in meinem Bett, den Geruch von meiner Art |120| Frühstück in der Nase.
Ein paar Minuten später ging die Tür auf und Cole trat ein.
»Komm, Rube«, sagte er, »Zeit zum Aufstehen. Wir haben eine Menge vor heute.«
Ich rührte mich nicht.
Ich spürte, wie er mich ansah, dann hörte ich, wie er das Zimmer durchquerte und wie ich ihn beschimpfte, als er mir die Decke wegzog und sie auf den Boden warf. Ich trug nur Boxershorts und der plötzliche kalte Luftzug an meiner Haut war ein Schock.
»Mann, Cole«, keifte ich und setzte mich auf. »Ich hätte
nackt
sein können.«
Er sah mich nicht einmal an, sondern drehte sich weg, um etwas aus seinem Rucksack zu kramen. Ich beobachtete ihn und erinnerte mich, wie er gestern Morgen das Haus verlassen und auf dem Hof etwas aus dem Kofferraum des Volvo-Wracks geholt hatte. Ich versuchte zu sehen, was er jetzt tat, aber er stand mit dem Rücken zu mir und hielt den Rucksack von meinem Blick fern. Ich wusste trotzdem, was er tat. Ich merkte mir, dass ich ihn später darauf ansprechen wollte, dann stand ich auf und zog mich an.
»Was hast du vor?«, fragte ich.
»Ich will mal ins Dorf und ein bisschen rumstochern, ob sich was rauskriegen lässt. Ob irgendwer was zu sagen hat. Danach geh ich vielleicht mal zu dem Zigeunercamp.« Er zog den Rucksack wieder zu, drehte sich um und sah mich an. »Ich versteh nicht, was die hier machen.«
»Die Zigeuner?«
»Ja – ich meine, hier ist doch für die nichts zu holen, oder? Keine Arbeit, keine Möglichkeit, was zu verkaufen. Gibt’s hier irgendwo |121| Jahrmärkte in der Nähe?«
»Nicht dass ich wüsste.«
Er schüttelte den Kopf. »Es ist nicht mal ein besonders schöner
Platz.«
»Vielleicht gibt’s ja irgendwo in der Gegend Arbeit, von der wir nichts wissen. Hier sind doch etliche Höfe.«
»Alles nur Schafe und Rinder. Zigeuner arbeiten nicht mit Schafen und Rindern.«
»Vielleicht klauen sie sie?«
»Kein Mensch klaut heute noch Schafe. Lohnt ja den Aufwand gar nicht. Weißt du, wie viel man heutzutage für ein Schaf kriegt?«
»Na gut, vielleicht sind sie dann hier, um auf uns aufzupassen?« »Was?«
»So wie Engel.«
»Engel?«
Ich grinste ihn an. »Schutzengel.«
Er machte sich nicht mal die Mühe zu sagen, dass ich ein Idiot sei, sondern schüttelte nur den Kopf und zog sich die Schuhe an. »Egal«, sagte er, »jedenfalls geh ich vielleicht mal hin und rede mit ihnen, wenn ich es schaffe.«
»Glaubst du, die
wollen
überhaupt mit uns reden? Du weißt doch, was manche von Dad halten.«
»Mir egal, was sie von ihm halten.« Er sah mich an. »Und du wirst sowieso nicht dabei sein.«
»Wieso nicht?«
»Du bleibst hier.«
»Was?«
»Ich will, das du hierbleibst.«
»Auf gar keinen Fall«, antwortete ich. »Ich komm mit. Ich lass |122| dich auf gar keinen Fall –«
»Hör zu«, sagte er und hob die Hand. »Hör mir mal eine Minute zu.« Er schaute hinüber zur Tür, dann sprach er leise weiter. »Irgendwas geht doch hier vor, oder?«
»Ja, aber –«
»Wir müssen rausfinden, was.« Er sah mich an. »Hab ich recht?«
»Ja, ich glaub
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