The Road of the Dead
richtig.«
»Was?«
»Es ist nicht
richtig
.«
»Ruben – sieh mich an.«
»Wir sollten nicht hier –«
Plötzlich, als er mein Gesicht in seine Hände nahm, hörte ich auf. Seine Finger fühlten sich kühl, ruhig und stark an. »Also los«, sagte er bestimmt. »Schau mich einfach nur an – okay? Schau mich an.«
Ich sah durch einen Schleier von Tränen in seine Augen. Er sagte nichts, sondern hielt nur meinen Kopf in den Händen und ließ die Tränen über seine Finger rinnen, bis der Strom getrocknet war. Während der ganzen Zeit flackerten seine Augen kein einziges Mal. Sie gaben mir Halt in der Dunkelheit, wie ein fernes Licht in einer Winternacht. Ich weiß nicht, wie lange wir so dasaßen, doch schließlich merkte ich, dass ich nicht mehr zitterte und mein Atem wieder normal ging. Cole hatte seine Hände von meinem Gesicht genommen, doch ich spürte noch immer die Berührung seiner Finger, wie sie meine Haut kühlten.
Und was das Schönste war, er lächelte mich an.
»Alles in Ordnung?«, fragte er. »Fühlst du dich jetzt besser?«
Ich nickte.
»Gut«, sagte er. »Das war nur ein Traum, Rube. Das weißt du doch, oder? Träume haben nichts zu bedeuten.«
|113| »Der schon.«
Seine Augen lösten sich nicht ein einziges Mal von meinen. »Willst du drüber reden?«
»Es ist nicht nur das … es ist nicht nur ein Traum.«
»Ich versteh nicht.«
»Ich wollt es dir gerade erklären …«
»
Was
erklären?«
Ich senkte den Blick, unfähig, ihn anzusehen. Als ich sprach, war meine Stimme kaum zu hören. »Ich hab ihn gesehen, Cole. Ich war da. Ich hab gesehen, wie er Rachel erwischt hat.«
»Wer?«
»Der Tote Mann.«
Ich erzählte ihm alles, was ich wusste. Ich erzählte ihm von der Nacht im Mercedes. Ich erzählte ihm, wie ich mit Rachel im Moor gewesen war. Ich erzählte ihm von dem Toten Mann. Ich erzählte ihm sogar von dem Steinkreis und dem geduckten Weißdorn. Als ich fertig war, sagte er nichts, sondern ging nur hinüber zum Fenster und starrte nach draußen in den Himmel kurz vor der Dämmerung. Während ich im Bett saß, ihn beobachtete und darauf wartete, dass er etwas sagte, drang eine leichte Brise durchs Fenster, die die Luft mit irgendetwas Süßlichem würzte. Das Zimmer schien in einem trägen blauschwarzen Licht zu leuchten.
Nach einer Weile kam Cole wieder herüber und setzte sich neben mich.
»Warum hast du mir das nicht früher erzählt?«, fragte er.
Es lag kein Ärger und keine Bitterkeit in seiner Stimme. Er war |114| nicht sauer auf mich, dass ich ihm nicht von dem Toten Mann erzählt hatte – er wollte nur wissen, warum.
»Ich weiß nicht«, antwortete ich ehrlich.
»Hast du gedacht, ich würde dir nicht glauben?«
»Nein.«
»Warum dann?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht wollte ich einfach abwarten, ob es wirklich irgendwas bedeutet.«
»Warum sollte es nichts bedeuten?«
»Weil es bis jetzt nicht wichtig war, wer Rachel getötet hat, oder? Das hast du selbst gesagt, als wir mit Merton gesprochen haben: Es ist nicht wichtig, wer es getan hat oder warum und wie – sie ist tot. Tot ist tot. Nichts kann daran etwas ändern – weder Gründe, noch Rache, noch Strafe, noch Gerechtigkeit. Nichts kann mehr ändern, was schon geschehen ist.« Ich sah ihn an. »Stimmt’s?«
»Ja, stimmt.«
»Also war der Tote Mann bis jetzt ohne Bedeutung. Es spielte keine Rolle, wer er war. Es hätte nichts geändert.«
»Bis jetzt.«
»Ja – aber jetzt ist alles anders. Jetzt bedeutet er etwas. Wenn wir ihn finden und beweisen, dass er Rachel umgebracht hat, können wir sie nach Hause bringen und begraben. Das ist es doch, was Mum will, oder?«
»Ja.«
»Deshalb sind wir hier.«
»Richtig.«
»Und nur das spielt eine Rolle.«
Cole zündete sich eine Zigarette an, rauchte eine Weile nachdenklich |115| und verdaute, was ich ihm gerade erzählt hatte. Ich sah dem Rauch zu, wie er im Luftzug dahintrieb, und fragte mich sinnloserweise, ob das, was ich ihm gerade erklärt hatte, der Wahrheit entsprach. Das meiste davon wahrscheinlich schon. Und selbst wenn nicht – ich war mir ziemlich sicher, dass auch Cole nicht alles erzählt hatte, was er wusste.
Doch das war okay.
»Also gut«, sagte er leise. »Erzähl mir von diesem toten Mann.«
»Es gibt nichts mehr zu erzählen«, antwortete ich. »Ich hab dir alles gesagt, was ich über ihn weiß.«
»Nein, hast du nicht – warum nennst du ihn den toten Mann?«
»Weil er tot ist.«
»Aber du hast ihn auch so
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