The Road of the Dead
schwarz. Obwohl die Sonne noch mindestens eine Stunde braucht, ehe sie untergeht, liegt schon ein Gefühl von Abend in der Luft – die Berge schlummern, die Krähen fliegen zum Schlafen in ihre Bäume, die Farben des Moors verblassen zu einem kalten und formlosen Grau. Und als ich über das Dorf schwebe, sehe ich weder Lichter noch Menschen noch irgendeine Bewegung. Das Hotel ist geschlossen. Die Häuser sind dunkel. Die Straßen sind still und leer. Selbst der Fluss schweigt, sein dunkles bronzefarbenes Wasser gleitet stumm unter die alte Steinbrücke.
Ich treibe weiter, folge dem Berghang, fliege durch die regengewürzte Luft über Wiesen mit grauem Gras und Granit hinweg und sehe in der Ferne die Lichter des Zigeunercamps. Ein schwacher blauer Schein im vergehenden Licht, ein schimmernder Halbkreis voll Wärme. Die Wohnwagen sind in der Dämmerung von einem Lichtkranz umgeben. Ich sehe mattes Licht hinter |282| zugezogenen Fenstern, Abzugsrohre, aus denen Schwaden emporsteigen, und blaue Flammen, die in der Glut eines Feuers sterben. Das Camp ist in seine ganz eigene saphirfarbene Nacht gehüllt.
Als ich näher komme, spüre ich, wie sich die Dinge anfangen zu rühren. In den Wohnwagen bewegen sich Schatten hinter den Vorhängen. Hunde sind unruhig – winseln und laufen nervös hin und her. Ein Pony wiehert und stampft. Es ist ein leises Sich-Rühren – mit Unterbrechungen. Eine Tür geht auf. Stimmen murmeln. Die Tür fällt zu. Ein Mann in speckigem Mantel und Stiefeln kommt mit etwas heraus, das in ein ölverschmiertes Tuch gewickelt ist. Er überquert den Hof, steigt in den Shogun, legt das Tuch auf den Beifahrersitz, fährt leise davon – die ausgefahrene Spur lang, dann nach links, den Berg hoch.
Einige Zeit später geht eine andere Tür auf und weitere Stimmen murmeln. Diesmal kommen zwei jüngere Männer heraus, beide tragen kleine Leinentaschen über der Schulter. Die Taschen sehen schwer aus. Die zwei Männer fahren in dem weißen BMW weg – die ausgefahrene Spur lang, dann nach rechts, den Berg hinunter.
Das geht eine Weile so weiter – Leute treten heraus und fahren weg –, bis schließlich nur noch ein Auto dasteht: ein roter Mercedes.
Der Gasofen brennt noch im Wohnwagen der Delaneys. Die Fenster sind beschlagen. Reason sitzt an einem Klapptisch, raucht eine seiner billigen Zigarren und trinkt etwas aus einem Cognacglas. Sein Gesicht ist gerötet von der Mischung aus Hitze und Alkohol. Eine abgesägte Flinte liegt vor ihm auf dem Tisch.
|283| »Ich sage ja nicht, du
darfst
nicht mit«, erklärt er Jess, die drüben am Spültisch steht und ein Wasserglas füllt. »Ich sage nur –«
»Was?«, fragt sie ihn. »Du sagst nur was?«
Reason lächelt und wirft Cole einen Blick zu. »Was meinst du, Junge?«
Cole zuckt die Schultern. Er sitzt im Sessel, die Beine übergeschlagen, und raucht eine Zigarette. Er trägt die Kleidung von jemand anderem – Jeans, ein ausgeblichenes Karohemd und eine alte schwarze Jacke. Seine Augen wirken müde und die Prellungen im Gesicht haben die dunklen Farben eines Sturms angenommen: Blauschwarz, Gelb und das Purpur eines Gewitters.
Ich habe nie an ihm gezweifelt.
Mein Vertrauen in ihn mag vielleicht einen Moment aus dem Tritt geraten sein, aber ich habe nie daran gezweifelt, dass er da ist. Ich wusste, er würde mich nicht allein lassen. Und dennoch … sein Anblick, das
Spüren
seiner Person … es ist das Erhebendste, was ich je empfunden habe. Cole gibt mir Kraft, er schenkt mir Leben.
Jetzt spür ich sein Herz. Er ist zum Aufbruch bereit. Ungeduldig. Ruhig. Entschlossen. Geduldig. Es passt ihm nicht, von jemandem abhängig zu sein, doch er weiß, es muss sein. Egal, was verlangt wird – Abwarten, Duldsamkeit, Gerede, Vertrauen –, egal, was verlangt wird, um zum Ziel zu kommen.
»Wie spät ist es?«, fragt er.
Reason greift in seine Tasche und zieht eine abgegriffene Messinguhr an einer Kette heraus. »Kurz nach sieben«, sagt er. »Jake wird in einer Stunde in London sein.«
Cole nickt.
|284| Ich sehe jetzt, wie es abgelaufen ist. Ich sehe die Verwandlung: Cole tauscht seine Sachen mit dem Zigeuner namens Jake; Jess verbindet Jakes Hand; Cole gibt ihm den Rucksack, dann zieht Jake seine dunkle Jacke an, setzt sich einen Hut auf, der ihm tief ins Gesicht ragt, und verlässt den Wohnwagen … hebt leicht die Hand, nickt, schließt die Tür, zieht den Kragen hoch, schlurft über den aufgeweichten Boden des Camps
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