The Stand. Das letze Gefecht
Lebensunterhalt zu verdienen. Der Vorschlag, die Sommergäste aus der Stadt zu weisen, wurde mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Bis Mitternacht wurden die Barrikaden errichtet, bei Einbruch der nächsten Morgendämmerung, am Morgen des 25., war auf ein paar Leute an den Barrikaden das Feuer eröffnet worden; die meisten wurden nur verwundet, aber drei oder vier wurden getötet. Es handelte sich fast ausschließlich um Menschen, die aus Boston kamen und panisch und blind vor Angst nach Norden flohen. Ein paar von ihnen ließen sich bereitwillig nach York zur Mautstraße umleiten, andere waren so von Sinnen, daß sie nicht kapierten und versuchten, die Barrikaden zu rammen oder über die Böschung um sie herumzufahren. Man wurde mit ihnen fertig.
Aber am selben Abend waren fast alle Männer an den Barrikaden selbst krank, glühten vor Fieber und mußten ständig die Schrotflinten zwischen die Beine stellen, damit sie sich die Nasen schneuzen konnten. Ein paar, zum Beispiel Freddy Delancey und Curtis Beauchamp, fielen einfach bewußtlos um und wurden später ins Notlazarett im Rathaus gefahren, wo sie starben.
Gestern morgen hatte sich Frannies Vater, der sich gegen die Barrikaden ausgesprochen hatte, ins Bett gelegt, und Frannie blieb zu Hause und versorgte ihn. Er duldete nicht, daß sie ihn ins Krankenhaus brachte. Wenn er schon sterben mußte, sagte er Frannie, dann hier zu Hause, abgeschieden und mit Anstand. Am Nachmittag war der Verkehr fast völlig zum Erliegen gekommen. Gus Dismore, der Parkwächter am öffentlichen Strand, sagte, seiner Schätzung nach waren so viele Autos auf den Straßen liegengeblieben, daß nicht einmal mehr geübte Fahrer (oder Fahrerinnen) durchkommen konnten, was ganz gut war, denn am Nachmittag des 25. konnten nicht einmal mehr drei Dutzend Männer Wache stehen. Gus, dem es bis gestern ausgezeichnet gegangen war, hatte selbst eine laufende Nase bekommen. Der einzige in der ganzen Stadt, außer ihr selbst, dem es noch einwandfrei zu gehen schien, war Amy Lauders sechzehnjähriger Bruder Harold. Amy selbst war kurz vor der ersten Stadtversammlung gestorben, ihr Hochzeitskleid hing noch ungetragen im Schrank.
Fran war heute nicht weggewesen, und seit Gus gestern nachmittag bei ihr gewesen war, hatte sie niemanden mehr gesehen. Heute morgen hatte sie ein paarmal Motoren gehört, und einmal ganz in der Nähe die Doppelexplosion einer Schrotflinte, aber das war alles. Die anhaltende, ununterbrochene Stille verstärkte das Gefühl des Unwirklichen noch.
Und jetzt waren viele Fragen zu bedenken. Fliegen... Augen... Kuchen. Frannie stellte fest, daß sie dem Kühlschrank lauschte. Der verfügte über eine automatische Eiswürfelmaschine, und etwa alle zwanzig, Sekunden ertönte im Innern ein kaltes Poltern, wenn ein neuer Eiswürfel ausgeworfen wurde.
Sie blieb fast eine Stunde vor ihrem Teller sitzen, immer noch mit diesem dumpfen, halb fragenden Gesichtsausdruck. Ganz allmählich kam ihr ein anderer Gedanke - eigentlich zwei Gedanken, die zusammenzuhängen und doch nichts miteinander zu tun zu haben schienen. Waren sie vielleicht verbundene Teile eines größeren Gedankens? Sie dachte darüber nach, hörte aber trotzdem mit einem Ohr zu, wie Würfel aus der Eiswürfelmaschine des Kühlschranks polterten. Der erste Gedanke war, daß ihr Vater nicht mehr lebte; er war zu Hause gestorben, und so hätte er es gewollt. Der zweite Gedanke hatte mit diesem Tag zu tun. Es war ein herrlicher Sommertag, makellos; wegen solcher Tage kamen die Touristen an die Küste von Maine. Man kommt nicht zum Schwimmen her, denn dafür ist das Wasser eigentlich nie warm genug; man kommt, um sich von solchen Tagen verzaubern zu lassen.
Die Sonne schien hell, und Franny konnte das Thermometer lesen, das draußen vor dem hinteren Küchenfenster hing. Die Quecksilbersäule zeigte knapp unter siebenundzwanzig Grad an. Es war ein wunderschöner Tag, und ihr Vater war tot. Gab es einen anderen Zusammenhang außer dem offensichtlichen Tränendrüsendrücker?
Sie dachte stirnrunzelnd darüber nach, ihre Augen waren verwirrt und apathisch. Ihre Gedanken kreisten um das Problem und schweiften dann ab zu anderen Dingen. Aber sie kamen immer wieder darauf zurück.
Es war ein schöner warmer Tag, und ihr Vater war tot. Das machte ihr plötzlich alles bewußt, und sie machte die Augen zu, als sei sie geschlagen worden.
Gleichzeitig zuckten ihre Hände unwillkürlich auf der Tischdecke und zerrten den Teller auf den
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