The Stand. Das letze Gefecht
warten, bis er die Geduld verlor und wieder wegfuhr. Hör auf, sagte sie sich, hör doch auf. Er ist schließlich auch nur ein Mensch.
»Hier, Harold«, rief sie.
Harold zuckte zusammen, seine fetten Hinterbacken wackelten in der engen Hose. Offensichtlich hatte er nur einen Versuch gemacht und gar nicht damit gerechnet, jemanden anzutreffen. Er drehte sich um, und Fran ging zum Rand des Gartens, strich sich über die Beine und fand sich resigniert damit ab, daß sie nur Turnhosen und ein Oberteil anhatte und angestarrt werden würde. Harolds Augen krochen förmlich über sie, während er ihr entgegenkam.
»Schau an, Fran«, sagte er glücklich.
»Hi, Harold.«
»Ich hab' gehört, daß du dieser schrecklichen Krankheit erfolgreich getrotzt hast, darum war hier mein erster Halt. Ich klappere die Stadt ab.« Er lächelte und entblößte Zähne, die bestenfalls eine flüchtige Beziehung mit einer Zahnbürste haben konnten.
»Ich war sehr traurig, als ich das mit Amy gehört habe, Harold. Sind deine Mutter und dein Vater...«
»Leider ja«, sagte Harold. Er ließ den Kopf einen Augenblick hängen, dann riß er ihn so ruckartig hoch, daß die verklebten Haare flogen. »Aber das Leben geht weiter, oder?«
»Glaub' schon«, sagte Fran müde. Sein Blick war wieder auf ihre Brüste gerichtet und tanzte dort, und sie wünschte sich einen Pullover.
»Wie gefällt dir mein Auto?«
»Gehört Mr. Brannigan, nicht?« Roy Brannigan war ein hiesiger Immobilienmakler.
» Gehörte «, sagte Harold gleichgültig. »Ich war immer der Meinung, wer in diesen mageren Zeiten so ein vorsintflutliches Monster fährt, müßte am nächsten Sunoco-Schild aufgehängt werden, aber das ist jetzt alles anders geworden. Weniger Leute heißt mehr Benzin.«
Benzin, dachte Fran benommen, er hat tatsächlich Benzin gesagt.
»Mehr von allem«, fügte Harold hinzu. Seine Augen bekamen ein verstohlenes Funkeln, während er ihren Nabel studierte, ihr wieder ins Gesicht sah, dann zu den Turnhosen hinunter und wieder in ihr Gesicht. Sein Lächeln war fröhlich und unbehaglich zugleich.
»Harold, wenn du mich bitte entschuldigen würdest...«
»Was in aller Welt kannst du zu tun haben, mein Kind?«
Das Gefühl des Unwirklichen kam wieder, und sie fragte sich, wieviel das menschliche Gehirn aushaken konnte, bevor es zerriß wie ein überdehntes Gummiband. Meine Eltern sind tot, das kann ich ertragen. Eine seltsame Krankheit scheint sich über das ganze Land verbreitet zu haben, möglicherweise über die ganze Welt, und mäht die Gerechten und die Ungerechten gleichermaßen hinweg - das kann ich ertragen. Ich hebe in dem Garten, in dem mein Vater noch vor einer Woche Unkraut gejätet hat, eine Grube aus, und wenn sie tief genug ist, werde ich ihn hineinlegen - ich glaube, auch das kann ich ertragen. Aber Harold Lauder in Roy Brannigans Cadillac? Harold Lauder, der mich mit den Augen auszieht und mich »mein Kind« nennt? Das weiß ich nicht, lieber Gott. Das weiß ich einfach nicht.
»Harold«, sagte sie geduldig. »Ich bin nicht dein Kind. Ich bin fünf Jahre älter als du. Es ist biologisch unmöglich, daß ich dein Kind bin.«
»Nur eine Redewendung«, sagte er und blinzelte angesichts ihrer beherrschten Wut. »Was ist das eigentlich? Dieses Loch?«
»Ein Grab. Für meinen Vater.«
»Oh«, sagte Harold Lauder mit leiser, unbehaglicher Stimme.
»Ich will einen Schluck Wasser trinken, bevor ich weitermache. Um ehrlich zu sein, Harold, es wäre mir lieber, wenn du gleich wieder gehen würdest. Ich bin außer mir.«
»Das kann ich verstehen«, sagte er steif. »Aber Fran... im Garten?«
Sie war zum Haus gegangen, aber jetzt drehte sie sich wütend zu ihm um. »Was würdest du denn vorschlagen? Soll ich ihn in einen Sarg legen und zum Friedhof schleppen? Wozu, in Gottes Namen? Er hat seinen Garten geliebt. Und was kümmert dich das überhaupt? Was geht es dich an?«
Sie fing an zu weinen. Sie drehte sich um und lief in die Küche, wobei sie fast gegen die vordere Stoßstange des Cadillacs gestoßen wäre. Sie wußte, Harold würde ihre wogenden Pobacken anstarren und das Material für die Pornofilme speichern, die dauernd in seinem Kopf liefen, und das machte sie wütender, trauriger und weinerlicher denn je.
Die Küchentür fiel krachend hinter ihr ins Schloß. Sie ging zur Spüle und trank drei Gläser kaltes Wasser. Zu schnell. Eine Silbernadel des Schmerzes bohrte sich in ihre Stirn. Ihr überrumpelter Magen krampfte sich zusammen, sie
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