The Stand. Das letze Gefecht
Leichen direkt vor ihm. Sie lagen fast zwei Meter hoch übereinander. Er konnte nicht einfach über sie hinwegsteigen wie über den toten Soldaten. Und wenn er vom Fußgängerweg sprang, um ihnen auszuweichen, riskierte er, sich Bein oder Knöchel zu brechen. Wenn er weiterwollte, mußte er... nun, über sie steigen. Hinter ihm bewegte sich etwas in der Dunkelheit.
Larry fuhr herum und empfand schon allein durch diesen Knirschlaut wieder Angst... ein Schritt.
»Wer ist da?« rief er und schlang das Gewehr von der Schulter. Als das Geräusch verstummte, hörte er leises Atmen - oder glaubte es zu hören. Er starrte glubschäugig in die Dunkelheit, seine Nackenhaare sträubten sich. Er hielt den Atem an. Kein Laut. Er glaubte schon an eine Sinnestäuschung, aber dann hörte er es wieder... ein leiser, schleichender Schritt.
Er fummelte panisch nach dem Feuerzeug. Der Gedanke, daß es ihn zum Ziel machen könnte, kam ihm erst gar nicht. Als er es aus der Tasche zog, verfing sich das Rädchen am Saum, und das Feuerzeug glitt ihm aus der Hand. Er hörte ein Klick, als es gegen das Geländer prallte, dann ein leises Plong, als es auf Kühlerhaube oder Kofferraum eines Autos aufschlug.
Wieder hörte er die leisen, gleitenden Schritte, diesmal etwas näher, aber es war unmöglich zu sagen, wie nahe. Jemand kam und wollte ihn umbringen, und sein panischer Verstand gaukelte ihm das Bild des Soldaten mit dem Messer in der Kehle vor, der in der Dunkelheit langsam auf ihn zuschlich...
Wieder ein leiser, knirschender Schritt.
Larry besann sich auf die Flinte. Er riß den Kolben an die Schulter und feuerte. Die Explosionen waren in dem geschlossenen Raum ohrenbetäubend laut; er schrie auf bei dem Geräusch, aber der Schrei ging im Dröhnen unter. Während das Feuer aus der doppelläufigen 30er hervorschoß, sah er die Fliesen an den Wänden und die einzelnen Fahrzeuge in der Wagenschlange wie eine Serie von Schwarzweiß-Blitzlichtbildern. Querschläger heulten wie Banshees. Der Kolben schlug ihm immer wieder gegen die Schulter, bis sie ganz taub war, bis er merkte, daß der Rückstoß ihn auf den Füßen gedreht hatte und er über die Fahrbahn schoß anstatt über den Fußgängerweg. Trotzdem konnte er nicht aufhören. Sein Finger hatte die Funktion des Gehirns übernommen und verkrampfte sich automatisch, bis Larry nur noch das trockene und ohnmächtige Klicken des Schlagbolzens hörte.
Das Echo rollte davon. Grelle, dreifach belichtete Nachbrenner schwebten vor seinen Augen. Er nahm schwach Korditgestank und das Wimmern wahr, das er tief in der Brust erzeugte. Er wirbelte herum, die Flinte noch in der Hand, und jetzt sah er im Geiste nicht mehr die Soldaten in ihren sterilen Andromeda-Anzügen auf der Kinoleinwand seines Verstandes, sondern die Morlocks aus der Illustrierte-Klassiker-Version von H. G. Wells' Zeitmaschine, bucklige und blinde Geschöpfe, die aus den Löchern in der Erde krochen, wo in den Eingeweiden der Erde unablässig Maschinen liefen.
Dann arbeitete er sich über die weiche und doch starre Barrikade der Leichen hinweg, stolperte, stürzte beinahe, packte das Geländer, hastete weiter. Sein Fuß trat in etwas gräßlich Schleimiges; gasiger Fäulnisgeruch stieg auf, den er kaum bemerkte. Keuchend eilte er weiter.
Plötzlich hörte er hinter sich einen lauten Schrei in der Dunkelheit und blieb wie angewurzelt stehen. Es war ein verzweifelter, kläglicher Laut, hart an der Grenze zum Wahnsinn: » Larry! O Larry, um Gottes willen... «
Es war Rita Blakemoor.
Er drehte sich um. Jetzt hörte er ein Schluchzen, ein wildes Schluchzen, das neue Echos erzeugte. Einen Moment war er wütend entschlossen, trotzdem weiterzugehen und sie zurückzulassen. Sie würde den Weg nach draußen schon finden, warum sollte er sich erneut mit ihr belasten? Aber dann riß er sich zusammen und schrie:
»Rita! Bleib, wo du bist. Kannst du mich hören?«
Das Schluchzen hielt an.
Er stolperte über den Leichenhaufen zurück und versuchte, die Luft anzuhalten, das Gesicht zu einer Grimasse des Ekels verzerrt. Dann lief er auf sie zu, wußte aber wegen des verzerrenden Echos nicht, wie weit er noch laufen mußte. Schließlich wäre er fast über sie gefallen.
» Larry...« Sie warf sich gegen ihn und klammerte sich mit der Kraft eines Würgers an seinen Hals. Er spürte, wie ihr Herz unter der Bluse mit halsbrecherischer Geschwindigkeit raste.
»Larry Larry laß mich hier nicht allein laß mich hier nicht in der Dunkelheit
Weitere Kostenlose Bücher