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The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

Titel: The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shane O'Doherty
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Haus gewesen waren, und so warteten wir an der Ecke zur Marlborough Terrace auf ihn. Ich wurde ihm vorgestellt, und er schlug gleich vor, einige Läden in der Gegend um die William Street herum während der nächsten Tage zu berauben. Damit sollte die Beschaffung der Waffen, und zwar am besten schwerere als nur Gas-Stifte, beschleunigt werden.
    Während der folgenden Wochen wurden Geldsummen an den Mann mittleren Alters übergeben, während dieser nur Reden hielt und uns absurde Versprechungen von Waffen machte, die sich nie konkretisierten. Nach etwa zwei Monaten fruchtloser Treffen ohne jedes Anzeichen von Waffen oder Tatplänen schlug die Stimmung um. Meine Freunde sagten, sie hätten den Mann in Creggan zweimal besucht und hätten beim zweiten Mal neue Sitzmöbel und einen neuen Teppich bemerkt. Sie waren überzeugt, dass das von uns beschaffte Geld zur Wohnungsverschönerung benutzt worden war. Ich war sehr verärgert und sagte, ich würde nie mehr wieder zu den Treffen gehen. Die anderen meinten zwar, es wäre vielleicht keine gute Idee, nur wegen eines Mannes, der sich bereichern wollte, den Kontakt zu der Organisation ganz aufzugeben. Ich blieb aber dabei, dass ich nie wieder dorthin wollte und sagte, dass das Ausrauben von kleinen Läden mit unter der Jacke vorgestrecktem Finger nicht meiner Vorstellung vom Freiheitskampf für Irland entsprach. (Möglicherweise habe ich bisher noch nicht erwähnt, dass ich als Jugendlicher voreilig, leicht reizbar und jähzornig war und zu spontanen, unwiderruflichen Entschlüssen neigte.)
    Ich blieb den weiteren Treffen also fern, traf mich aber regelmäßig mit den anderen. Sie erzählten, dass der Mann meine Abwesenheit als Hinweis auf ein mögliches Sicherheitsrisiko darzustellen versucht hatte. Er hatte von den anderen wissen wollen, wo in diesem Stadtteil man mich finden könnte, aber keiner hatte es ihm gesagt. Nun war ich erst recht erzürnt. Ich sagte zu ihnen, die IRA sei ja nie erwähnt worden, wir hätten keinen Treueeid abgelegt, es existierte kein Vertrag, und ich würde meine Freiheit nicht aufs Spiel setzen, nur um jemandes Haus zu verschönern. Nach wie vor hielt ich mich von der Straße fern, wo er wohnte.
    Unterdessen nahm ich wahr, wie sich das Tagesgeschehen aufheizte und dass die Möglichkeit eines Aufstandes gegen die britische Herrschaft in Nordirland durchaus vorstellbar wurde. Gerade war in den Nachrichten bekannt gegeben worden, dass zwei Minister der Republik Irland ihres Amtes enthoben worden waren. Ihnen wurde zur Last gelegt, sie hätten sich auf einen verschwörerischen Handel mit Waffen für die Katholiken in Nordirland eingelassen. Es handelte sich um Charles Haughey (der später dreizehn Jahre lang Premierminister von Irland war) und Neil Blaney, dem Parlamentsmitglied für Donegal. Captain James Kelly, ein Geheimdienst-Offizier der irischen Armee, war verhaftet und derselben Verschwörung beschuldigt worden. Ein weiterer ehemaliger Minister, der aus Protest gegen die Entlassung der anderen zurückgetreten war, forderte den irischen Premierminister Jack Lynch zum Rücktritt auf. Es sah ganz danach aus, dass Lynch tatsächlich nur „untätig zusehen“ wollte, während andere in maßgeblichen Positionen das Gegenteil beabsichtigten.
    Als ich eines Tages auf dem Weg zur Schule die Rossville Street überquerte, traf ich Paul, einen Kindheitsfreund, gemeinsam mit einem anderen Jugendlichen. Ohne irgendwelches Vorgeplänkel sagte er in großspurigem Ton zu mir: „Willst du bei den Provos Mitglied werden? Wir gehen da morgen Abend hin und treten bei.“ Es wurmte mich, dass er es geschafft hatte, die Provos zu finden, ich jedoch nicht. Ich war sprachlos angesichts seiner Behauptung, er werde „dahin gehen und beitreten“ – bis jetzt hatten alle immer nur davon gesprochen. Also sagte ich, dass ich natürlich mitkommen würde. Dann sagten sie mir, wo ich sie treffen sollte, und wir gingen auseinander. Ich lief in einer Art Schockzustand weiter zur Schule. Es war eine Enttäuschung für mich, dass nicht ich selbst, sondern mein Freund die Provos gefunden hatte – falls es sich wirklich um die Provos handelte. Wie hatte er das geschafft?
    Als mein Ärger sich gelegt hatte, entdeckte ich, wie es möglich war, dass etwa ein schwarzes Loch im All alles, einschließlich des Lichts und der Zeit, in sich hineinsaugen konnte, denn die Aussicht auf den Moment, in dem ich der IRA beitreten würde, war jetzt der alleinige Brennpunkt meines Daseins.

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