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The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

Titel: The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shane O'Doherty
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beim Weglaufen erwischt werden? Würde ich womöglich vor lauter Panik beim Anzünden der Schnur wie ein vom Autoscheinwerfer geblendetes Kaninchen erstarren und von der Explosion erfasst werden?
    All diese Ängste attackierten mein Gemüt, aber eins wusste ich: Wenn ich ein Patriot und Held sein wollte, war dieser Augenblick entscheidend für das Gelingen oder Versagen. Eine Bombe oder einen Revolver halten konnte jeder, aber nur die, die der Gefahr und dem Tod ins Auge blicken konnten, ohne zusammenzuzucken, würden es auch schaffen. Ich schlug die Streichhölzer mit der Reibefläche an. Es passierte aber gar nichts. Ich zitterte von Kopf bis Fuß und hatte das Gefühl, ich müsste an einem Herzanfall sterben. Wieder schlug ich die Hölzer an, sie leuchteten auf, und sofort sprühten auch die ersten Funken aus der Schnur hervor. Gezündet! Jetzt aber nichts wie weg hier!
    Von meinem eigenen Zittern und unglaublich hohen Puls erschreckt torkelte ich wie ein Betrunkener in die Dunkelheit hinein. Ich raste nach Hause und schaffte es auch bis in mein Zimmer. Wie mir schien, verging dann eine halbe Ewigkeit. Die Zündschnur musste ausgegangen sein!
    Während ich noch über Fehlzündungen nachsann, zerriss ein unglaubliches, durch die vollkommene Stille der ganzen Stadt noch vielfach vergrößertes Krachen die Nacht. Selbst aus dieser Entfernung konnte man durch das geschlossene Fenster Ziegelbrocken und Scherben fallen hören. Ich ging zur Tür des Schlafzimmers meines Vaters. „Daddy, darf ich hinausgehen und nachsehen, was das war?“ Gerade aus dem Schlaf gerissen antwortete er „Ja“, und ich sprang die Treppe hinab und auf die Straße hinaus. Andere Leute kamen aus ihren Häusern, starrten die Straße hinunter und wanderten umher, um zu sehen, wo das Getöse hergekommen war. Anhand der Trümmer auf dem Gehweg und der Fahrbahn wurde der Ort auch bald gefunden.
    Ich lief zu einigen Nachbarn an der Ecke hinüber und schaute die Straße entlang. Durch die Explosion hatte sich eine Staubwolke gebildet, die dem Anblick ein geisterhaftes dunstiges Aussehen verlieh. Das Gebäude war schwer beschädigt, große Trümmer lagen bis in einiger Entfernung auf dem Gehweg und der Straße umher, und mehrere Alarmglocken schrillten vergebens gegen die unfassbare Kraft an, die freigesetzt worden war. Etwas weiter weg lief ein Mann in Nachtbekleidung schreiend und mit zugehaltenen Ohren die Straße hinauf und verschwand um eine Ecke. Ein zweiter Mann, ebenfalls in Nachtbekleidung, suchte sich merkwürdig schwankend einen Weg durch die Trümmer. Waren sie etwa in dem Gebäude gewesen?
    Am nächsten Morgen und den ganzen Tag über berichteten die Medien von einer IRA-Attacke auf ein militärisches Ziel und zeigten Bilder des beträchtlichen Schadens im Fernsehen und in den Zeitungen. Jeder musste glauben, eine IRA-Einheit habe wagemutig die Sicherheitseinrichtungen überwunden und eine Bombe gelegt. Niemand konnte wissen, dass ich, ein fünfzehnjähriger Freiwilliger, es ganz allein getan hatte, und zwar ohne mich wirklich mit Sprengsätzen auszukennen, ohne genaue Anweisungen, ohne Hilfe und ohne Schwierigkeiten.
    Innerlich konnte ich es kaum verarbeiten. Es hätte eine Vorbereitungs- und Trainingsphase geben müssen, und Zeit, die zwischen dem Zustand eines nicht aktiv Beteiligten und dem Zustand eines tatsächlich tätigen Bombenlegers verstrich – aber es war alles so schnell passiert. Ich hatte die Provos zwar nicht selbst gefunden, war aber einer geworden. Ich war überhaupt noch nicht zum Bombenleger ausgebildet geworden, und doch war ich jetzt schon einer. Es hatte kaum eine, eigentlich gar keine Übergangszeit gegeben. Ich hatte keine Zeit gehabt, mich selbst in meiner neuen Rolle einzuholen!
    Schließlich begab ich mich nach Hause. Es war nun eine unumstößliche Tatsache, dass ich ein IRA-Bombenleger war, ob ich wollte oder nicht. Ich hatte die für mich selbst wichtigste Barriere überwunden – ich war jetzt mit allen Patrioten, die jemals hingerichtet worden waren, durch die Tatsache verbunden, dass ich einen ganz großen Gesetzesbruch begangen hatte und zugleich einen Akt, der meinen ureigenen Krieg mit Großbritannien darstellte. Ich selbst hatte die Waffen aufgenommen, und meine wachsende Befriedigung ließ mich innerlich zunehmend erglühen.
    Von meinen Kindertagen, als ich davon träumte, ein IRA-Held zu sein, bis zur Gegenwart, wo ich Mitglied geworden und meine erste Bombe gelegt hatte, schien kaum eine

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