The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
und verließ dann das Gebäude. Bis zur Detonation sollten es weniger als zehn Minuten sein, und ich schlenderte in der Nähe umher und wartete auf die Ankunft der Polizei und der Soldaten.
Nach einigen kritischen Minuten war immer noch nichts passiert. Ich begann mir Sorgen zu machen und lernte dabei, dass Kollektivität ihre Nachteile hat. Hatte der andere die Warnung telefonisch weitergegeben? War das Münztelefon, das er dazu benutzen wollte, womöglich defekt? Wurde es vielleicht gerade benutzt, als er dort hinein wollte? Das waren alles plausible Gründe für die Verzögerung, aber auf jeden Fall dauerte es jetzt schon viel zu lange. Allmählich wurde ich panisch. Wenn diese Bombe hochging, ohne dass das Gebäude evakuiert worden war, dann würden eine Menge unschuldige Außenstehende verletzt werden. Oder hatte die Polizei etwa beschlossen, solche Warnungen zu ignorieren, damit das Anliegen der IRA in Derry durch eine hohe Zahl von Verletzten Schaden nahm?
Wieder sah ich auf die Uhr. Was ging hier bloß vor? Jetzt waren es keine drei Minuten mehr, und selbst wenn der Alarm jetzt Wirkung zeigte, wäre es kaum möglich, alle Leute rechtzeitig aus dem Gebäude zu schaffen. Es sah alles ganz schlecht aus und würde noch viel schlimmer werden. Ich war jetzt so panisch, dass ich hätte aufheulen können. Die Warnung hätte doch alles Schlimme verhindern sollen! Was konnte ich bloß tun? Es gab kein Telefon in der Nähe, und ich hatte auch nicht die Nummer des Gebäudes. Die Zeit war fast vorbei, und jetzt würde auch keine Warnung mehr helfen. Mir kamen schon beinahe die Tränen beim Gedanken daran, dass ich jetzt gleich eine nicht beabsichtigte Katastrophe mit ansehen musste. Ich sah wieder auf die Uhr – jetzt war es unter einer Minute.
In einem albtraumhaften Zustand von Furcht, Schrecken und Ungläubigkeit starrte ich das Gebäude an und wartete auf die Explosion. Jetzt! Genau jetzt müsste es passieren! In der Nacht wenige Tage zuvor, während ich noch befürchtete, dass der Zünder ausgegangen sei, ging die Bombe hoch. Und diese hier sollte genau jetzt auch hochgehen!
Ich konnte nicht mehr länger hinsehen und verließ die Umgebung. Dabei betete ich so intensiv wie noch nie in meinem Leben – Gott, lass’ diesen Unfall nicht geschehen, auch wenn wir die Bombe eigentlich hochjagen wollten! Lass’ es nicht zu!
Ich sah das Ende meines Lebens vor mir. Mit der Schuld, unbeteiligte Menschen getötet zu haben, konnte ich nicht leben. Da war es völlig egal, ob wir eine Warnung abgegeben hatten, die unsere Absicht, Unschuldige zu verschonen, bezeugte. Auch das gemeinschaftliche Handeln bei diesem Einsatz verminderte mein persönliches Schuldgefühl nicht. Ich war am Ende. Wie konnte ich meine Schuld an diesem Blutvergießen jemals wieder abbüßen?
Ich lief immer weiter ziellos vor mich hin und erwartete den Lärm der Detonation und der Alarmsirenen von Polizei- und Krankenwagen. Es war aber nichts zu hören. Langsam kam ich wieder zu mir. Nichts war passiert, und jetzt war der Explosionszeitpunkt schon um fünf Minuten überschritten. Noch nicht einmal ein feucht gewordener Sicherheitszünder konnte so langsam brennen, dass es fünf Minuten länger gedauert hätte!
Ich kehrte um und lief zu dem Gebäude zurück. Dabei war ich darauf gefasst, dass meine aufkeimende Hoffnung doch noch durch eine plötzliche Explosion zunichte gemacht würde, doch nichts dergleichen geschah, und jetzt würde auch garantiert nichts mehr passieren.
Damit kam auch meine Erholung, vielleicht sogar ein bisschen zu schnell. Ich schalt mich für die Panik, die mich ergriffen hatte. Schon wieder zu Gott zu beten war doch wohl etwas zu viel, Shane! Gott war schließlich kein „einarmiger Bandit“ im Himmel, der jedes Mal, wenn man den Hebel herunterdrückte, Geld ausspuckte. Reiß dich zusammen!
Am Abend trat ich bei den Offizieren zum Bericht an. Sie waren höchst erzürnt, weil sie der Annahme waren, der einzige Grund, warum die Bombe nicht hochgegangen war, läge bei mir: ich hätte kalte Füße bekommen und den Zünder gar nicht in Brand gesteckt. Also war ich auch nicht der Macher, für den ich mich ausgegeben hatte.
Ich war genauso wütend und erklärte ich ihnen sofort, dass ich den Zünddraht angesehen hatte und er zahlreiche Verwindungen gehabt hatte. Das hielten sie natürlich für eine Verleumdung des Bombenbauers. Ich sei ja nicht qualifiziert genug, dass ich es wagen konnte, ihn zu kritisieren. Obwohl ich hartnäckig
Weitere Kostenlose Bücher