The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
mich zu äußern.
„Nein“, sagte ich und fuhr fort: „Ich könnte nicht in Hemd und Krawatte mit einem Aktenordner in der Hand herumlaufen, während meine Freunde auf der Straße kämpfen und womöglich sterben. Sollte es zu einem militärischen Aufstand kommen, könnte ich dem auch nicht fernbleiben. Ich kann Ihre politische Sichtweise zwar verstehen, aber ich bin ein Aktivist, kein Politiker.“
Obwohl er über meine Antwort verärgert war, lächelte er nur und meinte: „Nun, du bist jetzt kein Aktivist mehr. Du bist nämlich bis auf weiteres mir zugeteilt.“ Er nannte auch die Person, die angeordnet hatte, dass ich vorübergehend außerhalb meiner Einheit tätig sein sollte, und mir blieb nichts anderes, als zu gehorchen. Ich fühlte mich schändlich hintergangen.
Als Folge von alledem musste ich bei diesem Sinn Féin-Junggesellen bleiben, mir seine Argumente anhören, für den Piratensender Platten auflegen, Hörerwünsche verlesen und Interviews führen, die von Interesse waren. Das bewegendste Interview führte ich mit Barney Gilmour, einem alten Mann aus Brandywell, der schwer verletzt worden war, als ein britischer Soldat aus nächster Nähe ein Gummigeschoss in seinen Magen abfeuerte. Mit brechender Stimme erzählte der alte Mann von dem Vorfall und von seiner völligen Ohnmacht gegenüber der britischen Armee. Ich fand es schrecklich, dass ich das auf Band aufnehmen musste. Als ob ein Tonbandgerät der britischen Armee etwas anhaben könnte!
Nach diesem Interview sagte ich meinem Sinn Féin-Kommissar, ich könne nicht müßig dabeistehen, während die Briten so etwas taten. Er könne machen, was er wolle, ich würde mich jetzt zum aktiven Einsatz zurückmelden. Ich fügte hinzu, wenn sich junge Leute wie ich nicht an vorderster Front der britischen Armee entgegenstellten, wären wir ein besiegtes Volk, und das würde ich nicht mitmachen.
Dann meldete ich mich bei Eamonn zurück, schüttete ihm mein Herz aus und bat darum, wieder aktiv sein zu dürfen. Er lachte wie immer und sagte, wenn ich das wollte, wäre ich jetzt wieder aktiv dabei. Mir kamen fast die Tränen vor Freude. So gut wie umgehend bekam ich wieder Aufträge, Bomben in Schultertaschen zu verschiedenen wirtschaftlichen Zielen zu bringen, wobei die Anwesenheit eines Mädchens mir zur Tarnung dienen sollte. Wir legten die Bomben in verschiedenen Gebäuden ab, wo Menschen nicht gefährdet wurden. Meist taten wir das spätabends, wenn niemand mehr in der Nähe war. Dann gingen wir weg und hörten wenige Minuten später das Krachen. Es war nervenaufreibend, weil man sich immer fragte, was wohl passieren würde, wenn die Polizei oder die Soldaten mich beim Transport der Bomben erwischten. Irgendwie wurde es aber allmählich auch etwas fad, weil es so alltäglich war.
Mir fiel jetzt auch auf, wie sich die ursprünglich sehr kleine Welt der IRA in Derry veränderte. Als sich meine erste Bombe legte, konnte man die IRA-Aktivisten in Derry noch an den Fingern seiner Hände abzählen. Nun aber war es ein ständiges Kommen und Gehen von Leuten, die alle zu Einsätzen bereit waren. Da man keine fachmännischen Kenntnisse über Sprengstoffe oder besonderen Fähigkeiten brauchte, um Bomben mit einer Sicherungs-Zündschnur zu legen, beteiligten sich jetzt sehr viele an Bombeneinsätzen. Ich stand also in keiner Hinsicht im Mittelpunkt. Anscheinend waren Freiwillige in großer Zahl an Aktionen interessiert, bei denen Gewehre zum Einsatz kamen. Ich hatte das Gefühl, ich müsste rund um die Uhr verfügbar sein, um meinen Anspruch auf aktive Tätigkeit aufrechtzuerhalten, aber es rissen sich doch sehr viele darum.
Im Juni 1971 hatte ich meine „O Level“-Prüfungen, und da ich sehr wenig Zeit aufs Lernen verwendet hatte, machte ich mich daran, so viel wie möglich in der Brooke Park-Bibliothek, die am Rand des Ghettos lag, zu lesen. Ich erinnere mich noch deutlich an einen Morgen, an dem ich allein im Präsenzbestandsraum saß und arbeitete. Dabei hatte ich das Fenster geöffnet, um frische Luft hereinzulassen. Als mich plötzlich das unverkennbare Rattern einer Thompson-Maschinenpistole einige Straßen weiter aufschreckte und in seinen Bann schlug, ließ ich die Arbeit stundenlang ruhen. Ich starrte die leblosen Buchseiten an, während meine innere Stimme räsonierte: „Da draußen wird gerade aktuelle Geschichte gemacht, und du sitzt hier im Elfenbeinturm und bereitest dich auf Prüfungen vor, die dir zu nichts nützen, wenn du dran bist! Der
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