The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
Thompson-Schütze da draußen, das hättest du sein können, Shane! Wahrscheinlich kannst du dir ausrechnen, wer es gerade war! Und wenn heute Abend in den Nachrichten berichtet wird, dass deine Freunde bei einem Gefecht ihr Leben verloren haben, wie fühlst du dich dann mit deinen Büchern, heh?“
Ich blieb bei der Prüfungsvorbereitung, aber es war eine knappe Entscheidung. Meine Anwesenheit am College war zur dieser Zeit wohl sehr selten; auch wenn ich oft zur Überprüfung der Namensliste antrat, so verschwand ich danach sofort wieder. Ich konnte einfach nicht mit der Vorstellung leben, dass draußen Dinge von historischer Bedeutung geschahen, während ich drinnen über Büchern hockte.
Der Juli und der August des Jahres 1971 waren entscheidende Monate für den Nordirlandkonflikt, aber wir, die wir wichtige Rollen darin spielten, wussten noch nichts davon. Ich erinnere mich an einen Nachmittag im Juli, kurz nachdem die Armee einen Jugendlichen namens Seamus Cusack aus nächster Nähe erschossen hatte. Angeblich hatte er etwas in der Hand gehalten, das Ähnlichkeit mit einer Waffe hatte. Überall im Viertel wurde diese Anschuldigung heftig bestritten. Ich selbst wusste auch, dass er gar nichts mit Waffen zu tun gehabt hatte. Als Antwort auf seine Ermordung sollten mehrere große Nagelbomben auf einen riesigen Saladin-Panzerwagen in der Leckey Road geworfen werden. Zwar hatte ich eine Nagelbombe, aber ich wusste, dass ich sie nicht über die nötige Entfernung würde werfen können, und zudem hatte ich bei diesem Anlass tatsächlich Angst. Mit einem widerhallenden Geknatter prallten die Nagelbomben alle zusammen gegen den Saladin, explodierten mit einer Rauchwolke und beschädigten ihn. Doch beinahe gleichzeitig hörte man das Krachen eines britischen SLR-Selbstladegewehrs. Innerhalb weniger Minuten erfuhren wir, dass ein Soldat in einer angrenzenden Straße, als er die Explosionen hörte, einfach in eine Menschenmenge hineingefeuert hatte. Ein junger Mann namens Desmond Beattie starb kurz darauf an den Schussverletzungen.
Ich schlich mich aus der Menge davon, versteckte die Nagelbombe wieder und kehrte dann zurück, um die Blutlache anzusehen, in der der junge Mann gestorben war. Es erschütterte mich zu sehen, was für eine Menge Blut sich auf den Pflastersteinen ausgebreitet hatte. Ich hatte keine Ahnung, dass ein Körper so viel Blut enthielt, und ich war entsetzt, als ich sah, wie es beim Trocknen immer dunkler wurde. Jemand hatte daneben schon Blumen niedergelegt, und nach wenigen Tagen war auch ein Kreuz dabei. Ich war froh, dass ich meine Nagelbombe nicht geworfen hatte. Zugleich war ich aber auch vom Zusammenhang der Ereignisse verwirrt.
Die britische Armee gab in einer Erklärung bekannt, dass der Jugendliche eine Nagelbombe in der Hand gehabt hatte, aber diese Behauptung war ganz offensichtlich unwahr und machte die ganze Umgebung zornig, mich eingeschlossen. Es war für mich ganz klar, dass die britische Armee mit Hilfe dieser Erschießungen das Ghetto einschüchtern wollte, und ich verspürte in jugendlicher Leidenschaft den Drang, es ihnen als Verteidiger meines Volkes mit gleicher Münze heimzuzahlen.
Diese beiden Morde, die die britische Armee an Jugendlichen aus unserer Stadt begangen hatte, waren in ihrer Ungeheuerlichkeit für längere Zeit Richtwerte des IRA-Feldzuges in Derry. In Belfast bekämpften die beiden verfeindeten Seiten einander bitter, wobei die Massenkrawalle zwischen Katholiken und Protestanten dem dortigen IRA-Feldzug an Gewalt ebenbürtig waren. Im Gegensatz dazu hatte die IRA in Derry, die bereits zu Bombeneinsätzen übergegangen war, sich zum Ziel gesetzt, die britische Armee so oft wie möglich anzugreifen, um sie für die beiden Morde büßen zu lassen. Anders als in Belfast und einigen Regionen entlang der Grenze wurden in Derry keine Morde an den jeweils anderen Religionsangehörigen der beiden Konfessionen begangen. Die IRA-Brigade in Derry fühlte sich ausschließlich verpflichtet, die britische Armee mit Angriffen aus dem Hinterhalt und mit Gefechten zu konfrontieren; allerdings waren Schusswaffen knapp.
Im Juli wurde in der Westland Street zu allem noch ein Kind zwischen einem Armeelaster und einer Wand zu Tode gequetscht, woraufhin es zu heftigen und erbitterten Reaktionen kam. Als ich mich dorthin begab, standen Panzerwagen und Soldaten verzweifelten, schockierten Menschen gegenüber, die Zeugen einer weiteren Gräueltat der anfangs als Beschützer angesehenen
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