The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
nicht an der aufregenden Graskriecherei teilnehmen. Ich hatte mich am Rand des Geschehens aufzuhalten.
Rund um die Wiese mitten in Creggan gab es keinerlei Deckung. Jederzeit konnten Armeepatrouillen in Jeeps plötzlich auf den Straßen um die Wiese herum erscheinen. Vor den Geschäften entlang der Wiese versammelte sich recht schnell eine große Menge von erstaunten Zuschauern, und keiner hatte eine Ahnung, was passieren würde, wenn tatsächlich ein Armee-Jeep auftauchte. All das wurde den IRA-Offizieren schlagartig bewusst, und sie dachten, dass es vielleicht doch besser wäre, das ganze Manöver abzublasen, bevor es außer Kontrolle geriet. Die Kriechenden hatten währenddessen die Mitte erreicht und sollten anschließend wieder zurückkriechen.
Ein Offizier am Rand beauftragte mich, die Zuschauer fortzuschicken, und selbstsicher begab ich mich an diese Aufgabe. Ich zog meinen Revolver hervor, wedelte damit in der Luft herum und rief: „Die Straßen räumen! Alle nach Hause!“ Allerdings verschwanden die Zuschauer keineswegs, sondern sie drängten sich um mich, um den Revolver zu sehen. Ich fuchtelte etwas zorniger damit und rief erneut: „ Das ist ein IRA-Manöver! Ich befehle Ihnen, sich nach Hause zu begeben!“ Stattdessen wurde jedoch gelacht! Ein Mann beugte sich vor, packte mich am Handgelenk und sagte mir ins Ohr: „ Halt’ die Waffe nie vom Körper weg, sonst kann jemand sie dir wegnehmen. Halt’ sie nah am Körper und richte sie von dir weg, dann ist es sicherer.“ Dann gab er freundlicherweise meine Hand frei, ich bedankte mich und tat sofort, was er gesagt hatte. Die Menge schwirrte aber um mich herum wie Bienen um den Honig. Es war ein regelrechtes Fiasko.
Unterdessen hatten die bewaffneten Offiziere das Haus wieder erreicht, von dem sie ausgeströmt waren, und schafften nun mit ihren Autos die Waffen zu einem sicheren Lagerort. Auch ich konnte jetzt gehen und meinen Revolver zur eigenen Aufbewahrung mitnehmen.
Mag das Ganze nun auch ein Fiasko gewesen sein, so war es doch zugleich ein Abend von historischer Bedeutung. Endlich waren bewaffnete IRA-Männer im katholischen Ghetto öffentlich in Erscheinung getreten und hatten den Mut gezeigt, auf Straßen, die auch von der britischen Armee patrouilliert wurden, selbst eine Patrouille vorzuführen. Die Zuschauer sollten es innerhalb weniger Stunden in der ganzen Stadt verbreiten, und mit jedem Weitererzählen wurde die Geschichte immer wichtiger und beeindruckender, bis es bis es hoffentlich sogar hieß, eine Brigade der bewaffneten IRA habe in Creggan die Macht übernommen. Für die IRA, die sich gerade erst ganz neu gebildet hatte, war es der erste zaghafte Schritt, der einem zuversichtlichen Hineinschreiten in einen Guerilla-Straßenkrieg vorausging. Bevor man diese Zuversicht allerdings gewinnen konnte, mussten erst einige Verluste hingenommen werden, und diese ließen auch gar nicht lange auf sich warten.
Als ich einmal einen kleinen Beutel Munition für eine .38er Special zeitweilig zuhause versteckt hielt, während ich an einem einwöchigen IRA-Trainingslager teilnahm, suchte meine Schwester etwas in meinem Zimmer und fand den Beutel mit den Kugeln. Sie brachte ihn meinen Eltern, und mein ältester Bruder versenkte den Beutel dann im nahegelegenen Foyle-Fluss.
Völlig ahnungslos kam ich am Sonntagabend nach Hause. Mein Vater konfrontierte mich sofort mit seiner Vermutung, dass ich, jung wie ich war, Mitglied der Fianna (der Jugendabteilung der offiziellen IRA) sei, die allerdings kaum mehr als eine Art Pfadfinderbewegung war. Das bestätigte ich natürlich auch und gab an, dass ich die Munition nur zeitweilig für jemand anderen aufbewahrte. Er sagte, es sei völlig falsch von der IRA, dass sie jemand so jungen wie mich ausnutzte, um Munition zu verstecken, und es sei auch unfair, die Familie dadurch, dass das Zeug in unserem Haus versteckt war, mit hineinzuziehen. Das Haus könne ja schließlich durchsucht werden; wenn dann etwas gefunden würde, müsste die ganze Familie dafür büßen, dass einer von uns mit der IRA zu tun hatte, und das sei ja wohl ungerecht. Das gab ich auch zu. Dann nahm er mir das Versprechen ab, nichts mehr mit nach Hause zu bringen, und sagte, ich solle mich aus der Fianna heraushalten. Ich gab ihm sofort mein Ehrenwort, dass ich niemals mehr zur Fianna zurückkehren würde – das war mir ein Leichtes, da ich ja überhaupt kein Mitglied war. Ich brachte auch nichts mehr mit nach Hause, aber zur IRA ging ich
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