The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
den schweren Revolver in der Manteltasche unterzubringen; er war also sichtbar. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass zwei Mädchen uns aus einer Tür heraus beobachteten. Eine von ihnen glaubte ich zu erkennen, und ich glaube, sie erkannte mich auch. Natürlich bereitete es mir große Befriedigung, in dieser heldenhaften Haltung gesehen zu werden. Dann waren wir auch schon um eine weitere Ecke herum und ich schaffte es endlich, den Revolver in der Tasche zu verstauen. Mein Kumpel beschwerte sich: „Du hast doch gesagt, du würdest das Magazin leerfeuern, aber du hast nur zweimal geschossen! Hast du ihn getroffen?“
„Weiß ich nicht, ich glaub’ schon – er ist ja die Wand hinuntergerutscht!“ Ich sagte nichts davon, dass ich nur seine Augen gesehen hatte.
Als wir zurück zu unserem Stützpunkt kamen, waren alle ausgeschwärmt und hatten sämtliche verfügbaren Waffen mitgenommen. In den Nachrichten wurde berichtet, dass auf insgesamt fünf Soldaten geschossen worden war. Einer von ihnen war schwer verletzt, und ein anderer hatte zwei Schüsse ins Bein bekommen. Mein Kumpel sagte, dass sei meiner gewesen. Falls das stimmte, war ich froh, dass er nicht schwer verwundet war, denn ich hatte in seine Augen geblickt und hinter Visier, Gewehr und Uniform einen Menschen gesehen.
Es ist schwer, die Wirkung zu beschreiben, die die Internierung auf die gesamte katholische Bevölkerung von Derry hatte. Die Schlagzeile in unserer Lokalzeitung „The Derry Journal“ lautete:
„FÜHRENDE KATHOLIKEN IN DERRY LEGEN ÖFFENTLICHE ÄMTER NIEDER –
VERURTEILUNG VON INTERNIERUNG UND ZWANGSHERRSCHAFT“.
Zweiunddreißig prominente Katholiken, die öffentliche Ämter bekleideten, darunter auch Kirchenmänner, Friedensrichter, Mitglieder der Stadtentwicklungs-Kommission und der Polizeiverbindungs-Kommission gaben in einer Erklärung auf der Titelseite des „Derry Journal“ folgendes bekannt:
Wir sind entsetzt über die Einführung der Internierung ohne Gerichtsverhandlung, die wir als schwere Verletzung des Naturrechts verurteilen. Desgleichen verurteilen wir mit ebensolchem Entsetzen die eklatante Voreingenommenheit, mit der sie angewendet wird, die unmenschliche Behandlung vieler Opfer und den von diesen erlittenen Hausfriedensbruch. Ferner verurteilen wir die Unterdrückungspolitik, die nun in dieser Stadt herrscht, auf das Schärfste. Diese hat mit der erniedrigenden Behandlung unserer gewählten Bürgervertreter, die sich gestern an einem absolut friedlichen Protest beteiligten, ihren traurigen Höhepunkt erreicht. Aus allen diesen Gründen sehen wir, die Unterzeichneten, uns genötigt, den einzigen Widerstand zu leisten, der uns möglich ist, nämlich die unten genannten öffentlichen Ämter unverzüglich niederzulegen.
Die Zeitung war voll von Berichten über Konfrontationen zwischen der Gemeinde und den britischen Soldaten, über CS-Gasgeschosse, die in Häuser und Wohnungen hineingeschossen wurden, über Schießereien, Proteste und Razzien, bei denen um die sechzig Bürger von der Armee gefasst und interniert worden waren. Die untypische Stellungnahme des friedliebenden früheren Führers der Nationalistischen Partei Eddie McAteer anlässlich der Verhaftung zweier Parlamentsmitglieder verrät ebenfalls, wie sehr die Gefühle kochten:
Die britische Besatzungsarmee sollte sich schämen für das, was sie sich heute geleistet hat. Sie hat die Führung an sich gerissen, aber das wird unseren Widerstand nicht schwächen. Sie hat, obwohl weit und breit kein einziger Schütze oder Steinwerfer in Sicht war, den ganz normalen Bürgern den offenen Krieg erklärt, und alles nur, um wieder einmal einen schwankenden Oranier-Herrscher zu stützen. Ich rufe die Iren auf, dem letzten gewaltsamen Zucken des sterbenden britischen Imperialismus standzuhalten. Zeigt denen eure Gefühle in jeder nur erdenklichen Weise. Gebt der britischen Armee zu verstehen, dass sie Derry nicht in die Knie zwingen kann.
Das durch die Internierungspolitik ausgelöste Trauma und der Versuch der britischen Armee, in den Ghettos hart durchzugreifen, hatten zur Folge, dass Eamonn, ich und viele andere uns moralisch rüsteten, der Armee offen gegenüberzutreten.
Allerdings hatten wir einen Disput mit der viel größeren und viel besser bewaffneten Official IRA in Derry, bei dem es um die nächtlichen Kontrollgänge entlang der Barrikaden ging. Dazu muss ich erklären, dass am Anfang der Straßen, die in die katholischen Stadtteile
Weitere Kostenlose Bücher