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The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

Titel: The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shane O'Doherty
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britischen Armee geworden waren. Diese Armee hatte nun bereits drei getötete Jugendliche auf dem Gewissen und das Ganze war innerhalb weniger Tage auf mehr oder weniger derselben Straße geschehen. Die Reaktion brauchte gar nicht erst in Worte gefasst zu werden – sie zeigte sich schon daran, dass junge Leute Panzerwagen erkletterten und sie gewaltsam öffnen wollten, dass sie gepanzerte Mannschaftswagen mit Steinblockaden aufzuhalten versuchten, andere Armeefahrzeuge mit Steinen und Flaschenbomben bewarfen und den Laster, der das Kind zu Tode gequetscht hatte, in Brand setzen wollten.
    Alle diese Vorfälle ereigneten sich in Derry, noch bevor am 9. August 1971 Internierungen ohne Gerichtsverhandlung eingeführt wurden. Das war der andere wichtige Faktor, der alles veränderte. Gerüchte darüber waren schon eine ganze Weile im Umlauf gewesen, und die IRA-Leute sagten, es stünde uns unmittelbar bevor. Deshalb wohnten sie auch nicht mehr zuhause, sondern hatten woanders Unterschlupf gefunden. An dem Tag jedenfalls rief mich ein Freund aus meiner alten Einheit in der Waterside frühmorgens an und sagte: „Hast du’s schon gehört? Das mit der Internierung geht jetzt los!“
    Wir waren ganz aufgeregt und begaben uns eiligst zu einem Haus in Creggan, wo alle die IRA-Leute, die ich zu sehen erwartete, auch tatsächlich vollzählig erschienen waren. Überall gingen schwere Krawalle vor sich, in den Randzonen Creggans und der Bogside, beim Armeelager in der Bligh’s Lane und bei den Polizei- und Armeekasernen in der Rosemount-Siedlung, also wirklich überall.
    Als ich Eamonn gefunden hatte, fragte ich ihn, was passiert sei. Er war ebenso geschäftig wie wild entschlossen und antwortete: „Alles passiert jetzt! Weg mit den Handschuhen!“ Ein anderer Mann, der mir als zäh und zugleich als kühler Kopf bekannt war, sagte, er werde sich mit einem starken Revolver zu einer Ecke begeben, an der gewöhnlich ein einzelner bewaffneter Soldat vor dem Armeeposten Wache schob. Er wollte aus der Deckung hervorspringen und auf den Wachposten schießen, bevor dieser ihn mit seinem Gewehrfeuer erwischen konnte. Ich fragte, ob ich mitkommen könne, und er sagte ja.
    Auf dem Weg zu dieser Ecke bat ich flehentlich darum, mit dem Revolver schießen zu dürfen. Mein Kumpel mochte mich und wusste, dass ich darauf brannte, etwas zu tun. Deshalb stimmte er zu, allerdings nur unter der Bedingung, dass ich alle Kugeln aus dem Magazin abfeuerte, sobald ich aus der Deckung hervorkam. Ich versprach es ihm natürlich sofort, obwohl ich wusste, dass ich keine Chance hatte, den schweren Abzugshahn sechsmal zurückzuziehen. Eigentlich hatte ich vor, es auf drei Schüsse zu bringen, und dann wie wahnsinnig davonzurasen. Schließlich war ein ausgebildeter Soldat mit einem Gewehr ja kein bloßer Pappkamerad.
    Ganz in der Nähe war gerade ein heftiger Tumult im Gange, den wir aber umgingen. Wir erreichten schließlich die Ecke einer Straße mit kleinen Reihenhäusern. Ich sah mich vorsichtig um, und tatsächlich stand da ein einzelner Soldat mit einem Gewehr als Wache vor einem Beobachtungsposten. Ich umklammerte den Revolver und versuchte mich innerlich zu wappnen, während mein Herz wie wild schlug. „Du willst vergelten, was man deinem Volk angetan hat, nun tu’s auch!“ sagte ich mir. Mein Mut war allerdings etwas gedämpft durch den Umstand, dass er über ein Gewehr und gut trainierte Reaktionen verfügte.
    Ich ging schnell um die Ecke, damit ich keine Gelegenheit hatte, zu viel Angst davor zu entwickeln. Alles, was danach geschah, spielte sich wie üblich in einer Art traumähnlicher Zeitlupengeschwindigkeit ab. Mein Blick traf nämlich als allererstes den des Soldaten, und das war das Problem. Er zeigte weder Erschrecken noch Angst, sondern einfach Ruhe. Als wir uns in die Augen sahen, vergaß ich völlig, mit dem Revolver zu zielen. Dann schoss ich, und auch noch ein zweites Mal, aber in dieser traumähnlichen Unwirklichkeit hörte ich überhaupt nichts. Er begann die Wand, gegen die er gelehnt stand, hinunterzurutschen, aber sein Gesichtsausdruck war unverändert, und er sah mir nach wie vor in die Augen. Sein Gewehr hielt er immer noch so, dass es zum Himmel zeigte. Ich dachte, er könne kaum älter sein als ich selbst. Während diese traumgleiche Szene noch weitergehen wollte, zerrte mich eine Hand zurück in die Wirklichkeit.
    Ich rannte so schnell ich konnte neben meinem Kumpel die Straße hinunter. Dabei schaffte ich es aber nicht,

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