The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
Armee über diese Gegend ein inoffizielles, aber tödliches Ausgangsverbot verhängt hatte.
Der Stabschef der IRA, Sean MacStiofain, erschien zu den Beerdigungen und gab Presseinterviews über einen Friedensplan der IRA. Dieser bestand ursprünglich aus dem Angebot, alle militärischen Aktionen auszusetzen unter der Bedingung, dass die britische Regierung ihre Truppen in die Kasernen zurückbeorderte und die protestantische Regierung in Stormont absetzte.
Während ich mich noch damit abmühte, mein weiteres Lernen für die Schulabschlussprüfungen vor mir selbst zu rechtfertigen, explodierte in einer Seitengasse der Clarendon Street genau in dem Moment, als eine britische Armeepatrouille vorbeifuhr, eine Autobombe. Die beiden Soldaten wurden verletzt, Fenster und Häuserfronten wurden beschädigt, und leicht hätten Zivilisten zu Tode kommen können. Ich saß gerade in unserem Wohnzimmer beim Lernen und wurde von Mauerbrocken und Glasscherben erwischt. Das war für mich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, so erniedrigt und entfremdet von der allzu beliebten IRA wie ich mich fühlte.
Zur gleichen Zeit entführte die Official IRA einen neunzehn Jahre alten Katholiken aus Creggan namens William Best und erschoss ihn. Er hatte gerade Urlaub von den Irish Rangers, einem Regiment, das gar nicht in Nordirland diente. Es hieß, die Provisional IRA hätte ihm die Erlaubnis gegeben, nach Hause zu kommen und seine Familie zu besuchen. In der Bogside und in Creggan gab es natürlich heftige Reaktionen auf die Erschießung von Best. Hunderte von empörten Müttern versammelten sich und marschierten zum IRA-Hauptquartier, um dort zu protestieren, wobei es zu Streitereien und Handgemengen kam. Kurz nach dieser beachtlichen öffentlichen Zurückweisung verkündete die Official IRA eine Waffenruhe.
Mir waren die Einzelheiten des anderen Waffenstillstands, der ab dem 26. Juni zwischen der Provisional IRA und der britischen Regierung galt, nicht bewusst. Dazu gehörten Gespräche zwischen den Anführern der IRA und einem dienstälteren Minister der britischen Regierung namens William Whitelaw in London, zu denen die IRA-Anführer demonstrativ ihre persönlichen Schusswaffen mitnahmen (wie mir einer von ihnen später erzählte). Whitelaw hatte sich zuvor schon mit den maskierten Männern der Ulster Defence Association, der größten protestantischen paramilitärischen Organisation, getroffen.
Ich hatte das Gefühl, es sei jetzt entschieden Zeit, von dem Schmelztiegel, zu dem Derry und Nordirland geworden waren, Abstand zu bekommen, insbesondere deshalb, weil meine eigene Rolle zur Bedeutungslosigkeit zusammengeschrumpft war und auch, weil die IRA anscheinend dabei war, ein Abkommen mit der britischen Regierung zu schließen. Vor mir lagen – wie vor vielen anderen Schülern auch – die Sommerferien mit ihrer für Derry typischen Langeweile, und so beschloss ich, einen Ferienjob (und natürlich Spaß) in London zu suchen. Ich konnte in West Hampstead bei meinem Bruder wohnen, der als Städteplaner bei einem Stadtbezirksrat arbeitete. Also machte ich mich auf nach London und staunte dort über die Größe der Stadt und ihre riesige kosmopolitische Bevölkerung. Voller Überraschung stellte ich fest, dass Derry und Nordirland, die in meiner Vorstellung immer im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit und der Medienbeachtung gestanden hatten, hier keine Menschenseele interessierten. Ich fand auch schnell einen Job und englische Freunde und begann, an den abertausend Unterhaltungsmöglichkeiten, denen man hier abends und am Wochenende nachgehen konnte, Gefallen zu finden. Ich gab mich völlig unschuldigen Vergnügungen hin, was ich jahrelang völlig verpasst hatte, und war so sehr mit der Arbeit und den neuen Freunden beschäftigt, dass ich nach dem Waffenstillstand überhaupt nichts Neues über Nordirland hörte.
Dem Waffenstillstand selbst war leider keine Dauerhaftigkeit beschieden, und als ich im August einen Freund in Derry anrief, erfuhr ich, dass die Katholikenviertel, die seit dem Bloody Sunday mit Barrikaden abgeriegelt waren und für die Polizei und die britische Armee als „Sperrgebiete“ galten, von dem größten Armeekontingent, das man bis dahin in Nordirland gesehen hatte, besetzt worden waren. Dabei waren eigens zum Erstürmen der Barrikaden umgebaute Fünfzigtonner-Centurionpanzer zum Einsatz gekommen. Tausendfünfhundert Soldaten und dreihundert Armeefahrzeuge waren in die Bogside und nach Creggan
Weitere Kostenlose Bücher