The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
ein paar Tage später.
In der Schule wurde ich von einem Präfekten aus dem Unterricht geholt. Er sagte, dass Monsignore James Coulter, der Vorsitzende des St Columb’s College, mich unverzüglich in seinem Büro sprechen wollte. Ich mochte Monsignore Coulter absolut nicht. Für mich war er ein aufgeblasener, von Standesdünkel erfüllter Priester, der oft (wenn auch nicht ausdrücklich in Worten) zu verstehen gegeben hatte, dass es ihm missfiel, dass die Schule „Gesocks“ aus den Ghettos aufgenommen hatte.
Also begab ich mich in sein Büro, wo er die Ausgabe des „Derry Journal“ quer über seinen Schreibtisch warf und sagte: „Du hast diese Schule in Verruf gebracht!“ Da ich genau diesen Vorwurf erwartete, hatte ich schon keine Geduld mehr. Zudem hatte ich das Gefühl, vor diesem abgehobenen Monsignore die geknechteten Ghettobewohner zu repräsentieren.
Ich wies ihn darauf hin, dass die Schule in meinem Brief gar nicht erwähnt worden war und bat ihn um eine Stellungnahme zu der Gewalt, die die Soldaten Schülern angedeihen ließen. Er sagte jedoch nur, der Brief würde mir noch eine Menge Ärger bringen. So gingen wir ohne Einigung auseinander, aber ich wusste nun, dass er mich nicht mehr an der Schule haben wollte. Ich konnte mir denken, dass er sich einen Reim auf meine heimlichen Sympathien gemacht hatte. Als ich zum Mittagessen nach Hause ging, stellte sich heraus, dass mein Vater zwar verärgert war, aber nur deshalb, weil ich ihm nichts davon gesagt hatte, dass der Brief abgedruckt werden würde. Seine Lehrerkollegen waren gekommen, um ihm ihre Unterstützung für mich auszudrücken, und es war ihm peinlich, dass er nicht wusste, worum es ging, bis sie ihm die Zeitung zeigten.
Genau wie Monsignore Coulter es vorausgesagt hatte, brachte mir der Brief tatsächlich Ärger, hauptsächlich deswegen, weil meine Adresse darin veröffentlich war. Als ich nach dem Mittagessen das Haus verließ, um zur Schule zurückzulaufen, entschied ich mich spontan, den Weg durch die Stadtmitte zu nehmen, wo Läden und Einkäufer den Weg interessanter machten. Es fiel mir zunächst gar nicht auf, dass zwei Armee-Jeeps mich von der Clarendon Street an verfolgten, denn der übliche stockende Verkehr und die allgemeine Geschäftigkeit verbargen diesen Umstand. Mit meiner Schuluniform und dem Arm voller Bücher war ich auch aus der Entfernung gut zu erkennen. Schließlich kam mir in der Shipquay Street mitten in der Stadt zu Bewusstsein, dass die Jeeps sich meinem Gehtempo angepasst hatten. Als ich sie direkt ansah, blieben sie stehen. Ein Offizier sprang heraus, drückte mich, flankiert von Gewehrschützen, gegen die Wand eines Geschäfts und drückte mir seinen Schlagstock unter das Kinn.
„Shane O’Doherty, glaubst du, du kannst einen Leserbrief mit üblen Anschuldigungen gegen die Armee schreiben, ohne dass es Konsequenzen hat? Los, durchsucht ihn!“ Sie nahmen mir meine Bücher weg, inspizierten sie und ließen sie dann auf den Gehweg fallen. Dann durchsuchten sie mich auf das Gründlichste vor den Augen von Passanten, von denen viele mich kannten. Währenddessen fuhr der Offizier mit seiner Drohtirade fort.
„Du bist offensichtlich ein IRA-Sympathisant, und vielleicht sogar mehr als nur das. Wir werden dich pausenlos beobachten, dich pausenlos verfolgen, und beim ersten falschen Schritt bist du dran. Wir haben dich im Visier. Deine Lügenpropaganda wird dir noch leidtun.“
Man muss sich hier noch einmal ins Gedächtnis rufen, dass die IRA sich nach der „Operation Motorman“, der Erstürmung der Ghettos durch die Soldaten vollständig in das sichere Donegal in der Republik Irland zurückgezogen hatte. Die Armee ging nun davon aus, dass sie eine dauerhafte Machtstellung errungen hatte, und war darauf aus, jeden Funken, der ein weiteres Auflodern des Widerstands entzünden konnte, sofort zu ersticken. Schließlich sagte man mir, ich solle verschwinden; ich las meine Bücher auf und lief zitternd den restlichen Weg zur Schule. Ich nahm diese öffentlich vorgeführte Einschüchterung sehr ernst, denn sie machte mir auf drastische Weise klar, dass ich wegen meiner Ideologie erschossen werden konnte. Das hier war kein Spiel, und ich musste den Vorfall als letzte Warnung verstehen. Mittlerweile war ich erfahren genug, um zu wissen, dass ich hier kein Berufungsgericht finden würde, dass ich jetzt im Fadenkreuz der Armee stand und dass ich ganz allein Entscheidungen fällen musste, die meine Sicherheit und mein
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