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The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

Titel: The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shane O'Doherty
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Anwesenheit als Zeichen ihrer zeitweiligen Solidarität mit der katholischen und nationalistischen Bevölkerung von Derry. Für viele von ihnen war es das erste Mal, dass sie unsere Stadt besuchten. Man gab ihnen für die Totenmesse Sitzplätze in der Marienkirche in Creggan, während die Bürger von Derry draußen in der Kälte und im Regen standen. Das erfüllte mich so mit Zorn, dass ich wegging und mich in meine bittere kleine Welt zurückzog.
    Die Beerdigungen waren ein absoluter Tiefpunkt. Nach meinem Empfinden wurde die Ungeheuerlichkeit des Massakers damit viel zu schnell begraben. Die Politiker der Republik Irland konnten sich mit ihren abgelegenen Privatangelegenheiten befassen, während wir im britisch besetzten Nordirland nur die IRA zu unserer Verteidigung hatten.
    Am Tag der Beerdigungen meldete ich mich bei der IRA zurück und war sehr enttäuscht darüber, dass sich die Mitgliederzahl wie erwartet stark erhöht hatte und es für mich kaum Möglichkeiten gab, aktiv zu werden. Ich lernte ein paar ältere, erfahrene Sprengstoff-Offiziere kennen, die darin ausgebildet waren, Scheinzünder und Entschärfungsverhinderer an Bomben anzubringen. Man munkelte, sie hätten Soldaten der Felix-Schwadron, einer Bombenentschärfungseinheit, getötet und verletzt. Sie schienen viel älter als ich zu sein, oder vielleicht schien ich auch nur viel jünger als sie – jedenfalls wurden mir herzlich wenig Gelegenheit geboten, mich an Einsätzen zu beteiligen. Für mich war es erniedrigend, dass ich nur wenig im Voraus über die zahlreichen Bombenattacken wusste. Zwar lernte ich, wie man auf ganz simple Art Uhrwerke und elektronische Schaltungen als Detonationsauslöser nutzen konnte. Dadurch erledigte sich das Hantieren mit Zündschnüren, und man konnte Raffinessen wie Scheinzünder einbauen. Aber ich lernte es hauptsächlich als Theorie und durfte nur einmal den Zeitzünder an einer ziemlich großen LKW-Bombe einstellen. (Der LKW wurde in die Stadtmitte geschickt und richtete große Verwüstung an.) Als noch erniedrigender empfand ich es, als die IRA britische Armeepatrouillen rund um das Schulgelände des St Columb’s College aus dem Hinterhalt überfiel, während ich im Unterricht saß und für meine Abschlussprüfungen in Irisch, Französisch und Englisch büffelte. Ich kam mir wie ein normaler Zivilist vor, und das wurmte mich. Unsere Lehrer, größtenteils Diözesan-Priester, erwarteten, dass wir unbeirrt im Unterricht arbeiteten, während draußen das Krachen der Hochdruckgewehre und die Explosionen von Scheinminen oder Bodenminen die Luft zerrissen. Es verlangte mir eine übermenschliche Anstrengung ab.
    Der Oberrichter Lord Justice Widgery bekam den Auftrag, von der sicheren Basis der überwiegend protestantischen Kleinstadt Coleraine aus ein Untersuchungsverfahren über die Ereignisse des Bloody Sunday durchzuführen. Bei uns bezeichneten die Leute diese britische Untersuchung britischer Morde als „Widgerys Weißwäsche“ und wollten einen Boykott der Untersuchung erreichen.
     
    Im März, einige Zeit nach einer nächtlichen Schießerei in der Bogside, wurden Colm Keenan und Eugene MacGillan, zwei Freunde in meinem Alter, von britischen Soldaten erschossen. Sie waren an der Schießerei nicht beteiligt gewesen, sondern hatten in einem Haus Schutz gesucht und mit den Bewohnern Tee getrunken, bis die Gefahr vorüber gewesen wäre. So etwas war damals nichts Ungewöhnliches. Als der Hausbesitzer sie hinausließ und sie den Gehweg betraten, wurden sie ohne jegliche Provokation ihrerseits oder Rechtfertigung von Heckenschützen der Armee, die seit der vorangegangenen Schießerei auf der Lauer gelegen hatten, erschossen. Colm war neunzehn, Eugene achtzehn.
    Als ich von dieser Geschichte hörte, ging ich zusammen mit einem Freund zu dem Hausbesitzer. Dieser erzählte mir, wie er einen der beiden jungen Männer in seine Küche geschleppt und dort entdeckt hatte, dass man dem jungen Mann durch den Kopf geschossen hatte. Er hatte auf dem Küchenboden sehr viel Blut verloren, gestöhnt und war dann kurz darauf gestorben. Dieser genaue Bericht erschütterte mich und vergrößerte meinen Zorn auf die Armee. Der Umstand, dass die beiden IRA-Volunteers waren und IRA-Begräbnisse bekamen, schien für die Armee im Nachhinein die Erschießungen zu rechtfertigen, aber es blieb eine Tatsache, dass sie mit der Schießerei nichts zu tun gehabt hatten und einzig und allein erschossen wurden, weil sie die Straße betraten, als die

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