The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
eingedrungen und die IRA hatte beschlossen, statt den Kampf gegen die Übermacht aufzunehmen, erst später zurückzuschlagen. Nun hatte also die britische Armee die Ghettos unter Kontrolle, aber es war wie Besatzung im Krieg. Während dieser „Operation Motorman“ genannten Invasion hatten die Truppen zwei Jungen in Creggan erschossen und andere verwundet, und ein junges Mädchen war auf kürzeste Entfernung mit Gummigeschossen angegriffen worden.
Jetzt war mir klar, dass meine Hoffnung, dass der Konflikt bald beendet sein möge, nur Wunschdenken war. Ich versuchte, die Zeit in London, die mir noch blieb, in vollen Zügen zu genießen, und kehrte Anfang September zum Schulbeginn nach Derry zurück.
Als ich heimkam, fand ich eine völlig veränderte Stadt vor. Das Gefühl, militärisch besetzt zu sein, lag überall in der Luft. Die Soldaten auf den Straßen waren großspurig und aggressiv. Zweifellos hatten sie das Gefühl, dass sie mit der Operation Motorman einen Sieg über die Leute, die angeblich unter dem Schutz der IRA standen - und damit über die IRA selbst – errungen hatten.
Wie unverschämt die Soldaten waren, bekam ich bereits nach vier Wochen zu spüren. Ich hatte ein Mädchen vor Mitternacht nach Hause begleitet und war auf dem Rückweg zur Clarendon Street. Was dann geschah, beschreibt ein Brief von mir, der am 3. Oktober 1972 im „Derry Journal“ abgedruckt wurde:
DIE ERFAHRUNGEN EINES JUNGEN MANNES AUS DERRY MIT DEN SOLDATEN
Sehr geehrte Herren,
als ich am Sonntag um 0.30 Uhr auf der Strand Road in Höhe der Stelle, wo sich früher das Society-Restaurant befand, auf den Sandsackwall entlang der Anstaltsmauer zulief, forderte mich einer von acht oder neun Soldaten auf, die Hände zu heben, da er mich durchsuchen wollte.
Automatisch kam ich dieser Aufforderung nach und der britische Soldat beugte sich nach vorn über. Ich erwartete, dass er meine Beine abtasten würde. Er sprang jedoch aus geduckter Haltung nach vorn und warf mich der Länge nach auf die Fahrbahn, als sei diese ein Rugbyfeld. Ich schlug mit seinem Gewicht auf mir hart auf und verletzte mir das Handgelenk.
Ein Offizier mit einem kleinen ledernen Schlagstock trat vor und stellte sich über mich, wobei er den Schlagstock gegen seinen Oberschenkel wippen ließ. Der Soldat erhob sich von mir und sagte: „Hast du da gerade versucht, mich zu treten, he?“ Ich gab keine Antwort und schaffte es beim zweiten Versuch endlich, ebenfalls aufzustehen, wobei ich mein linkes Handgelenk vorsichtig umfasste.
Dann befahl der Soldat mir, die Hände über meinen Kopf zu erheben, was mir sehr schwerfiel, da mein Handgelenk verstaucht war. Der Offizier fragte mich, wo ich wohnte, während der Soldat mich durchsuchte und dabei immer noch wissen wollte, ob ich versucht hatte, ihn zu treten. Als ich sagte, dass ich in der Clarendon Street wohnte, änderte er sein Verhalten etwas. Er sagte, ich sollte „Leine ziehen“ und schlug mit dem Schlagstock nach mir, als ich gerade gehen wollte.
Es gab keine Zeugen außer den übrigen Soldaten, die den Vorfall als große Belustigung betrachteten.
Ich kann junge Leute meines Alters nur eindringlich davor warnen, um Mitternacht oder ganz egal zu welcher Zeit allein unterwegs zu sein. Von nun an werden mich Berichte über die Brutalität britischer Soldaten nicht mehr überraschen. Ich habe auch bei den sogenannten Vorgesetzten keine Beschwerde erhoben, da ich mich in einer Position der grundsätzlichen Hilflosigkeit sehe.
Shane O’Doherty, 17 Jahre
39 Clarendon Street,
Derry
Eigentlich hatte ich einen viel schärfer formulierten Brief geschrieben. Ich hatte angegeben, dass der Offizier mir nach meiner Auskunft, dass ich in der „netten“ Gegend der Clarendon Street wohnte, sofort gesagt hätte, ich könne jetzt gehen, und ich hatte jungen Leuten aus der Bogside und aus Creggan geraten, ebenfalls anzugeben, dass sie in der Clarendon Street wohnten. Aber der strenge Herausgeber des „Derry Journal“ hatte meinen jugendlichen Sarkasmus einfach herausgekürzt. Er hatte sogar Eddie MacAteer, den Vorsitzenden der nationalistischen Partei, wegen meines Briefs angerufen, da beide meinen Vater kannten. Eddie rief mich noch am selben Abend an und fragte mich, ob mein Vater wüsste, dass ich diesen Brief an die Zeitung geschrieben hatte. Ich log und sagte, natürlich wüsste er das. Damit gab sich Eddie zufrieden und rief den Herausgeber zurück. Der Brief erschien dann auch tatsächlich
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