The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
Leserbrief, wollte wissen, ob ich tatsächlich zusammengeschlagen worden war, und wieso ich den Brief in die Zeitung hatte setzen lassen, statt mich an die Royal Ulster Constabulary-Polizei zu wenden und offiziell Beschwerde zu erheben.
Ich antwortete ihm so gut ich konnte, aber er hörte gar nicht richtig zu. „Hier hat’s eine Menge Vorfälle mit Bomben und anderen Dingen gegeben, “ sagte er, „ganz als ob jemand von hier denen Informationen geliefert oder die Anschläge womöglich selber ausgeführt hat. Pass’ auf, was du tust, Shane.“ Damit ließ er mich stehen.
Das sah ich als die allerletzte Warnung an. Mir blieb nur wenig Zeit zum Handeln. Nach einem belanglosen Geplauder mit meinen Eltern und meinem kleinen Bruder ging ich in mein Zimmer, suchte ein paar Dinge zum Mitnehmen zusammen und ging dann, ohne irgendjemandem etwas zu sagen, aus dem Haus. Als ich mich auf den Weg nach Dublin machte, wusste ich natürlich, dass meine Eltern schnell darauf kommen würden, dass mein Verschwinden etwas mit der IRA zu tun hatte. Aber ich musste fort, und es war besser, jetzt einen klaren Schnitt zu machen, statt noch lange irgendwelche Pläne zu wälzen. Viele Familien in Derry mussten mit der Hiobsbotschaft zurechtkommen, dass ihr Sohn erschossen worden war. Da würde es nicht so schlimm sein, dachte ich, wenn meine Familie morgens aufwachen und feststellen würde, dass ich sie verlassen hatte. Über einen Freund würde ich sie wissen lassen, dass ich in Dublin, wo es keine paramilitärischen Aktivitäten oder Gefahren seitens der Armee gab, in Sicherheit war. Ich betrachtete das alles mit jugendlicher Intensität und dachte nicht weiter über die Reaktion meiner Familie nach.
Als ich in Dublin ankam, befiel mich ein überwältigendes Gefühl der Erleichterung darüber, dass ich den Todesdrohungen der britischen Armee entkommen war. Ich zog also bei meinen beiden Freunden ein, deren Kameradschaft mir die Eingewöhnung erleichterte. Wir fanden Gelegenheitsarbeit auf Baustellen, mit der wir die Miete finanzierten, und hatten dann noch ein bisschen Geld für uns. Es war eigentlich gar nicht so übel. Ein paar Wochen später jedoch, als wir uns gerade über Politik und Gewalt unterhielten, kam uns die Frage in den Sinn, ob es wohl richtig wäre, dass wir hier in Dublin von den Nöten unseres Volkes weit entfernt waren, und ob wir nicht besser wieder in Derry sein sollten, diesmal allerdings als Vollzeit-Volunteers der IRA, um im Untergrund einen täglichen bewaffneten Kampf zu führen und kontinuierlich von einem sicheren Unterschlupf zum nächsten zu wechseln. Nach meinem Empfinden war ich nicht dazu bestimmt, in Dublin im Versteck herumzusitzen. Schließlich beschlossen wir, nach Donegal zurückzufahren und den IRA-Kommandeur zu Rate zu ziehen.
Unser Gespräch mit ihm war kurz und bündig – er wollte unsere Unterstützung nicht. Also fuhren wir wieder nach Süden. Es war schon sehr spät, als wir auf Dublin zukamen. Ich schlief auf der Rückbank und merkte nicht, dass der Fahrer ebenfalls einschlief. Das Auto geriet von der Fahrbahn ab, prallte gegen ein paar Zaunpfähle aus Beton, die am Rande eines Feldes entlang standen, und überschlug sich mehrmals. In der Dunkelheit wachte ich auf und hatte mir den Hals verletzt, so dass ich ihn kaum bewegen konnte. Ein paar Autofahrer, die hinter uns gewesen waren, hatten den Unfall mitangesehen, und einer von ihnen brachte mich nach Dublin ins Krankenhaus. Dort legte man mir eine Halskrause an, und ich musste mich in Rückenlage ins Bett legen lassen, mit der strikten Anweisung, mich ja nicht zu bewegen. Ich würde mehrere Wochen dableiben müssen. Dabei wusste ich die ganze Zeit nicht, dass um meine Augen herum alles blau angeschwollen war und andere fälschlicherweise den Eindruck bekamen, ich sei fürchterlich zusammengeschlagen worden.
Am nächsten Tag erschien die irische Polizei, um mich zu dem Unfall und dem gestohlenen Auto zu befragen. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, dass der Mann, der uns nach Donegal fuhr, das Auto gestohlen hatte! Schließlich war ich ja nur per Anhalter mitgefahren, wie ich ihnen sagte. Als sie weggingen, hatten sie zweifellos den Eindruck, ich sei wegen IRA-interner Querelen zusammengeschlagen worden.
Zwei Wochen später, als es mir deutlich besser ging, sagte mir eine Krankenschwester, die Polizei wolle mich am nächsten Morgen zu weiteren Vernehmungen abholen. Noch am selben Abend stahl ich mich davon und fand Unterkunft bei einem
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