The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
anderem auch das von der Zeitung „Daily Mail“ herausgegebene, und suchte mir Informationen über Amtsinhaber und ihre Adressen in der Stadt und außerhalb zusammen. „Who’s Who“ erwies sich dabei als dermaßen nützlich, dass ich mir in einem Buchgeschäft ein eigenes Exemplar kaufte.
Meine Telefonnummer gab ich nach Irland durch, weil man mir gesagt hatte, ich müsse damit rechnen, dass ich zwar wenig, aber doch ein bisschen Hilfestellung bekommen würde. Es gab Leute, die mich zwar nicht direkt kontaktieren, aber immerhin nützliches Material zu meiner Wohnung bringen wollten. Als ich eines Abends vom Einkaufen nach Hause kam, fand ich ein Päckchen vor, dass jemand durch den Briefschlitz geschoben hatte. Es enthielt eine unglaubliche Auswahl an unbenutzten offiziellen Umschlägen der Regierung mit Stempeln und Vermerken, die es mir leichter machen würden, Briefbomben durch die Sicherheitskontrollen zu schleusen, und die misstrauische Empfänger in Sicherheit wiegen würden. Irgendjemand, der für die Regierung arbeitete, hatte wohl große Sympathie für die irische Sache.
Ich machte also die erste Serie Briefbomben versandbereit, wobei ich sehr wohl wusste, dass etwas mit ihnen nicht in Ordnung war. Da ich die richtige Sorte Draht nicht auftreiben konnte, musste ich auf einen weniger gut geeigneten zurückgreifen. Womöglich würden die Dinger gar nicht detonieren, aber allein die Tatsache, dass sie die Empfänger überhaupt erreichten, würde genauso viel Öffentlichkeitswirkung haben. Ich gab sie an verschiedenen Stellen in der Stadtmitte auf. Für manche brauchte ich Briefmarken, und es war kein Problem, sie im Postamt wiegen zu lassen. Das Risiko, dass sie zu diesem Zeitpunkt entdeckt werden würde, war minimal, und deshalb war ich auch kein bisschen nervös. Seit meiner Ankunft in London waren erst wenige Tage vergangen, und schon waren die Briefbomben unterwegs. Aus der Sicht der IRA hatte diese Aktion sie überhaupt nichts gekostet, weder materiell noch finanziell, und es war nur ein einziger IRA-Volunteer daran beteiligt.
Auf dem Rückweg zu meiner Wohnung empfand ich Erleichterung, zum einen, weil ich es geschafft hatte, den ersten Teil der Aktion durchzuführen, und dann, weil nichts sie mehr aufhalten konnte, weder meine eventuelle Verhaftung noch eine Entführung durch getarnte Sicherheitsleute. Auf der Suche nach einer preisgünstigen Mahlzeit betrat ich ein kleines pakistanisches Restaurant, wo der redefreudige Kellner, ein junger Pakistaner, mir einen Wein zum Essen empfahl. Er brachte eine kleine Flasche Sauterne, den ich noch nie getrunken hatte. Ich nahm die Empfehlung an und machte damit meine Mahlzeit zu einem Festessen. Als ich zu Bett ging, versuchte ich mich beruhigen, denn am nächsten Morgen würde ganz gewiss etwas in den Nachrichten sein.
Die ganze Zeit während meines aktiven Dienstes in London glich mein Leben dem eines Mönchs. Kaum jemals trank ich Alkohol, und wenn, dann nur in kleinsten Mengen. Ich hatte keine Freundin und ging abends nie irgendwohin außer gelegentlich ins Kino. Ich lebte nur für den bewaffneten Kampf und die IRA.
Mein Radio hatte ich auf den Londoner Sender LBC eingestellt, der hauptsächlich Nachrichten und Sendungen, in denen die Hörer anrufen konnten, ausstrahlte. Als die Nachricht kam, waren alle Radiosender voll davon, ebenso wie die Titelseiten der Abendzeitungen und die Fernseh-Nachrichtensendungen. Briefbomben in London! Wenn die IRA an dem Tag fünf tausendpfündige Bomben in Nordirland gezündet hätte, hätte das vielleicht einen oder zwei Abschnitte auf der fünften Seite der überregionalen Zeitungen gebracht, aber das Versenden von Briefbomben von nur je zwei Unzen an prominente Persönlichkeiten und Institutionen in London wurde als heimtückisch, unglaublich und schrecklich betrachtet und war das Thema von Tausenden von Kommentaren im Radio und in gedruckter Form!
Am nächsten Morgen brüllten die Titelseiten der überregionalen Tagespresse die Nachricht durch das Land. Wenn Irland im kritischen Stadium einer Lungenentzündung darniederlag, scherte das niemanden, aber wenn London nieste, war es erforderlich, dass die ganze Welt zusah ... Ich konnte kaum glauben, welch ungeheure Öffentlichkeitswirkung meine kleinen Zwei-Unzen-Briefbomben da hervorriefen. Umgeben von Tages- und Abendzeitungen saß ich in meiner Wohnung, hörte mir die dramatischen Radioberichte an und war grenzenlos erstaunt darüber, dass alle Bomben, die ich in
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