The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
dabei nicht nervöser als sonst auch.
Als wir aber das Gedrängel auf der anderen Straßenseite erreichten, befiel mich plötzlich ein Drang, die Bombe augenblicklich wieder zu entschärfen, und das tat ich auch. Dem verdutzten Mädchen sagte ich, wir sollten in eine Seitenstraße einbiegen, damit ich Gelegenheit hätte, noch einmal in die Tasche hineinzusehen. Prompt entdeckte ich, dass ich die Zünduhr nur auf ein paar Minuten statt auf eine volle Stunde gestellt hatte. Das kam daher, dass die Uhr kopfüber in der Tasche steckte. Woher aber dieses plötzliche Warngefühl kam, konnte ich mir absolut nicht erklären. Ich hatte die Gefahr völlig übersehen, als ich die Bombe scharf machte, und wenn ich diesen plötzlichen instinktiven Drang, sie wieder zu entschärfen, nicht gehabt hätte, hätten wir uns ein oder zwei Minuten später selbst aus dem Leben gesprengt. Nun machte ich die Bombe erneut scharf, und wir platzierten sie problemlos in der Boutique im Untergeschoss. Ich eilte zum Münztelefon, rief die Polizei an und sagte: „Hier spricht die IRA. Wir haben eine Zeitbombe in der Boutique Soundso in der Oxford Street deponiert, und Sie haben jetzt 45 Minuten Zeit, die Umgebung zu räumen, bevor die Bombe hochgeht.“ Dann hängte ich den Hörer ein und rief nach einer Minute erneut an, um zu überprüfen, ob meine Botschaft durchgedrungen war. Irgendwelche Rückfragen des Polizisten am anderen Ende der Leitung wartete ich natürlich gar nicht erst ab.
Wir schlenderten etwas weiter die Oxford Street hinunter und warteten darauf, dass die Polizei auftauchen und die Umgebung sichern und absperren würde. Nach etwas mehr als zehn Minuten war immer noch keine Polizei zu sehen, und ich wurde langsam unruhig. Die Bombe, die wir abgelegt hatten, war immer noch verhältnismäßig klein, aber in der Enge dieser Kellerboutique würde sie doch beträchtlichen Schaden anrichten, und jeder, der sich in dem Raum aufhielt, würde getötet werden.
Wie schon zuvor bei dem Regierungsgebäude in Derry reagierte die Polizei nicht auf meine beiden telefonischen Warnungen. Es kam mir jetzt der Gedanke, dass in einer Stadt von dieser Größe womöglich jeden Tag hundertfach Fehlalarm einging. Deshalb rannte ich zu einem weiteren Münztelefon und rief leicht panisch ein drittes Mal an. Innerlich verfluchte ich mich selbst, weil ich nicht daran gedacht hatte, die Telefonnummer der Boutique herauszufinden – ich hätte ja als letzte Maßnahme direkt dort anrufen und die Warnung aussprechen können.
Aber nun gab es nichts mehr, was ich hätte tun können. Bis zur Detonation verblieben jetzt keine fünf Minuten mehr, und meine Warnanrufe waren fehlgeschlagen. Zusammen mit dem Mädchen fuhr ich mit der U-Bahn zu meiner Wohnung zurück und schaltete das Radio ein. Vom Sender LBC erfuhren wir, dass es eine kleinere Explosion in einem Geschäft in der Oxford Street gegeben hatte und dass die Bombenkommission dabei war, Spurensicherung in der Umgebung durchzuführen. Es war niemand verletzt worden – ich konnte es kaum glauben!
Über die genauen Einzelheiten war erst einige Stunden später etwas zu erfahren, und was ich dann hörte, war mysteriös – es war nur die Zündvorrichtung explodiert. Die Sprenggel-Päckchen zu je vier Unzen waren gar nicht mitgezündet worden. Ich konnte das überhaupt nicht begreifen – alle anderen Bomben waren doch vorschriftsmäßig hochgegangen! Wieder einmal hatte ein unerklärlicher Zufall Schreckliches verhindert.
Da mir klar geworden war, dass ich der Polizei nicht länger vertrauen konnte, beschloss ich, meine Warnanrufe zukünftig an die Nachrichtenagentur zu richten und ein Codewort anzugeben, damit man meine Warnungen von Fehlalarm-Meldungen unterscheiden konnte. Ich rief dort zweimal an, erklärte, dass ich im Auftrag der IRA spräche und dass das Codewort für weitere Bombendrohungen „Double X“ lauten sollte. Danach wurden meine Warnanrufe auch immer ernst genommen.
Früher als man gedacht hätte, ging mir das Geld aus, und der Kurier mit dem Nachschub ließ auf sich warten. Ich war mittlerweile noch etwa zweimal in dem pakistanischen Restaurant gewesen und hatte mich mit dem Kellner, der mir jedes Mal eine halbe Flasche Sauterne brachte, ganz gut angefreundet. Als der Kurier endlich mit dem Geld und einigen bestellten Dingen eintraf, beklagte ich mich bitter, dass ich schon seit einer Woche keinen Penny mehr besaß, nichts im Kühlschrank hatte, am Hungertuch nagte, und dass das alles
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