The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
über einen zeitweiligen oder andauernden Waffenstillstand einließ, dann war doch wohl klar, dass sie als stark und jederzeit kampfbereit wahrgenommen werden wollte, ohne den leisesten Hauch von Rückzug oder Kapitulation. Unser Feldzug sollte ein durchschlagender Erfolg und keine Jammerparade sein. Und so sahen sich also beide Seiten, nämlich die Befürworter des Waffenstillstands, die den grausigen Vorkommnissen ein Ende setzen wollten, und diejenigen, die Waffenstillstand für Verrat an der Sache hielten, plötzlich in eine drastische Steigerung der Bomben- und Attentatskampagne verwickelt, die es etwas leichter machen sollte, den Bomben und Attentaten Einhalt zu gebieten ...!
Ich erinnere mich noch genau an den Abend im November 1974, als aus Birmingham ein schreckliches Bombenattentat gemeldet wurde. Einundzwanzig Zivilisten waren getötet und zahlreiche weitere verstümmelt und verletzt worden, als Bomben anscheinend ohne vorherige Warnung in Kneipen explodierten. Zuvor war im nahegelegenen Coventry ein IRA-Mann beim Versuch, in einer Telefonzentrale eine Bombe zu legen, erschossen worden. Ich hörte einen der bekanntesten Republikaner von Derry, in dessen Gegenwart ich mich gerade aufhielt, seiner Abscheu Luft machen. Ich war sehr beeindruckt, als er sagte, wenn die IRA hinter diesem Bombenattentat steckte, dann würde er keinen Moment zögern und sofort und endgültig austreten. Noch nie hatte ich ihn so zornig erlebt.
Was mich betraf, so war mir der Gedanke unerträglich, dass mich jemand mit Attentaten auf Zivilisten in Verbindung bringen könnte. Nun musste ich das erste Mal ernsthaft darüber nachdenken, ob ich genauso souverän wie mein Freund hätte reagieren können. Mir wurde klar, dass ich mir ein Dasein ohne die IRA überhaupt nicht vorstellen konnte, hauptsächlich weil ich ihr mein Leben verschrieben hatte, auf der Flucht vor Polizei und Armee war, nirgendwo außer auf dem Friedhof oder im Gefängnis landen konnte, und der einzige Ausweg aus alledem wäre ein Waffenstillstand mit Amnestie oder einer ähnlichen Abmachung. Ich war bei aktiven Einsätzen ein überzeugter Einzelgänger, aber die Erkenntnis, dass ich mein Leben der Organisation verschrieben hatte, vergrämte mich jetzt. Ich begann mich nach einem Leben außerhalb der IRA zu sehnen.
Unser Hauptquartier gab eine Presseerklärung ab, die jeglichen Zusammenhang der IRA mit dem Bombenattentat von Birmingham dementierte und deren Wahrheitsgehalt niemand bezweifelte. Wir gingen grundsätzlich davon aus, dass die IRA-Führung nicht log. Erst Jahre später wurde die Tatsache, dass es doch eine Lüge und die IRA sehr wohl für das Attentat verantwortlich war, öffentlich bekannt. Zu dem Zeitpunkt war ich schon kein IRA-Mitglied mehr.
Im November 1974, als es um den Waffenstillstand ging, wurde die Kontaktaufnahme zwischen Republikanern und protestantischen Kirchenvertretern kurz erwähnt, die Einzelheiten jedoch wurden streng unter Verschluss gehalten. Die einzelnen Brigaden konnten zwar Informationen über den Fortschritt bekommen, aber in diesem Fall geschah es nur selten und vereinzelt. Um irgendwelche demoralisierenden Gerüchte gar nicht erst aufkommen zu lassen, gingen Beauftragte der IRA-Führung durch die Brigaden und verbreiteten ein paar höchst spärliche Einzelheiten über die Verhandlungen. Allein schon der Umstand, dass sie das taten, war ein deutlicher Hinweis darauf, wie ernst es mit dem Waffenstillstands-Vorstoß war.
Der „große Schub“ ging bereits los, bevor er überhaupt angeordnet wurde und geriet dann, wie mir heute scheint, schon bald außer Kontrolle. In der Hast, mit der zu viele Bomben an ihre Zielorte geschafft werden sollten, verloren wir in der Vorphase zur Weihnachts-Waffenruhe von 1974 zu viele Freiwillige, die getötet, verletzt oder gefasst wurden. Ein paar unerfahrene, noch nicht richtig ausgebildete junge Kerle bekamen den Auftrag, Bomben zu legen, und ließen bei dem Versuch ihr Leben. Andere zogen sich Verletzungen zu, wurden verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Von manchen Aktionen wurde ich gar nicht in Kenntnis gesetzt oder bei der Auswahl geeigneter Sprengstoff-Aktivisten nicht zu Rate zu gezogen.
Ein junger Bursche, den ich noch in der Ausbildung hatte, verlor damals beim Versuch, eine Bombe zu legen, sein Leben, weil sie vorzeitig explodierte. Ich war wütend, weil mich niemand über ihn befragt hatte und ich also auch nicht darauf hinweisen konnte, dass er noch nicht so weit war. Sein
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