The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
vorgesetzter Sprengstoff-Offizier hatte die Stadt verlassen; auch davon hatte mir niemand etwas gesagt. Sein Bruder wusste nichts von alledem und wäre beinahe auf mich losgegangen, als er mich sah. Er dachte, ich hätte etwas mit der Entscheidung, den Jungen mit der Bombe loszuschicken, zu tun gehabt, obwohl das gar nicht der Fall war, und ich konnte ihm also auch keine genaueren Angaben machen, was ich sonst getan hätte. Allmählich fragte ich mich, ob das Ziel die Opfer überhaupt wert war.
Das Allerschlimmste passierte im Dezember, während ich mich außerhalb der Stadt aufhielt und deshalb einige der Quartiere, die meine Bombenwerkstätten gewesen waren, stillgelegt hatte. Ich war schockiert, als ich nachmittags in den Fernseh-Nachrichten hörte, dass es eine Explosion in einer Wohnung am Crawford Square gegeben hatte, in der ein junges Mädchen lebensbedrohlich verletzt worden war. Man hatte sie ins Krankenhaus gebracht.
Die Nachricht warf mich um. Mir wurde speiübel, ich hatte stundenlangen Brechreiz. Es war meine Wohnung gewesen, aber ich hatte eigentlich nichts darin hinterlassen, was mit Sprengmitteln zu tun hatte. Ethel, das Mädchen, hatte so vertraut wie eine Schwester mit mir zusammengearbeitet und war weit und breit die engagierteste Freiwillige, die ich je kennengelernt hatte. Ich kannte auch ihren Freund und war stets peinlich bemüht, die Gefahren, denen ich sie aussetzte, so gering wie nur möglich zu halten, obwohl es sehr viele Risiken waren. Jederzeit hätte ich mein Leben gegeben, um ihres zu schützen. Ich hatte ihr gesagt, sie sei wegen meiner Abwesenheit nicht mehr im Dienst. Nun erfuhr ich, dass jemand sie reaktiviert hatte, während ich fort war. Sie wurde bei einer vorzeitigen Explosion schwer verletzt, ihr Zustand war kritisch. Ein paar Tage später starb Ethel.
In einem Zeitungsbericht wurde behauptet, dass ein Mann gesehen worden war, wie er von der Wohnung wegrannte, aber kein IRA-Mann hatte das getan. Gott weiß, ob da überhaupt jemand weggerannt war. Möglicherweise war es ein Zivilist, der nicht anwesend sein wollte, wenn die Armee und die Polizei eintrafen. Als ich nach Derry zurückkam, fragten mich jedoch einige Leute, ob ich es gewesen sei, der da weggerannt war. Gekränkt und zornig antwortete ich: „Glaubt ihr etwa, ich wäre weggerannt, wenn Ethel dagewesen wäre?“ Es gelang mir nicht, diese Gerüchte zu zerstreuen, obwohl die meisten in der IRA wussten, dass ich überhaupt nicht in Derry gewesen war. Am schwersten belastete mich der Gedanke, dass Ethels Familie womöglich glaubte, ich hätte sie verletzt da liegen lassen. Der „große Schub“ war mir verhasst, weil er einige Menschen, die mir wirklich nahe standen, das Leben gekostet hatte. Meiner Meinung nach wären so viele Todesfälle in der IRA vermeidbar gewesen, aber man hatte die nötige Vorsicht außer Acht gelassen. Nach all diesem zusätzlichen Leid fand ich, dass der bevorstehende Waffenstillstand, für den ich mich ausdrücklich ausgesprochen hatte, unbedingt zustande kommen musste.
Zu Weihnachten gab die IRA schließlich in einer Presseerklärung bekannt, dass der Waffenstillstand jetzt gültig war. Die Medien machten einen Riesenrummel darum, und Politiker und Vertreter der Kirche lobten die Einsicht, die ihn ermöglich hatte. Dass die britische Regierung und die IRA sich weiterhin im Dialog miteinander befanden, wurde jetzt geduldet und von manchen sogar gefeiert.
In den darauffolgenden Wochen erfuhr die Öffentlichkeit Einzelheiten über den Fortschritt der direkten Verhandlungen zwischen der IRA und der britischen Regierung. Das Erste und Wichtigste dabei war, dass man der IRA Stadtpläne gab, auf denen katholische Viertel grün markiert waren. Es wurde zugesichert, dass die Armee niemanden innerhalb dieser gekennzeichneten Bereiche verhaften würde – auch keine Leute, die ganz oben auf der Fahndungsliste standen. Es würde auch keine Hausdurchsuchungen geben, und deshalb konnten gesuchte Leute jetzt nach Hause zurückkehren. Die Royal Ulster Constabulary, die protestantische Polizei, so wurde gesagt, war vom Waffenstillstand nicht betroffen. Sie sollte aber daran gehindert werden, in den grün markierten Bezirken Verhaftungen vorzunehmen, indem sie von der britischen Armee keinen Begleitschutz mehr bekäme.
Die britische Regierung richtete auch Hilfezentren ein, in denen Beamte des Nordirland-Ministeriums eingesetzt wurden. Hier würde sofort Abhilfe geleistet, falls die IRA sich über
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