The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
trafen wir uns mit Abgeordneten zu sehr formlosen Gesprächen. Ich wohnte bei einer Familie, die starke politische Beziehungen hatte, und wenn andere Brigademitglieder eine Unterkunft brauchten, dann gingen sie zu dieser Familie, während ich auf eine meiner Unterschlupf-Wohnungen auswich. So kam es, dass im Haus dieser Familie verschiedene formlose Gespräche zwischen offiziellen Volksvertretern und der IRA-Brigade stattfanden.
Bei einem späteren Brigade-Treffen gab man uns zu verstehen, dass die Chancen für einen gemeinschaftlich beschlossenen Waffenstillstand zwischen der britischen Regierung und der Armee auf der einen Seite und der IRA auf der anderen Seite sehr gut stünden. Wir sollten uns einzeln äußern, was wir davon hielten.
Von da an war diese Angelegenheit ein ständiges Diskussionsthema, was manchmal zu erbitterten Meinungsverschiedenheiten führte. Nicht jeder war der Ansicht, dass man im Umgang mit der britischen Regierung einen Fortschritt erreichen könne, wenn man die militärischen Kampfhandlungen einstellte. Manche glaubten, die Briten würden jeden Waffenstillstand nur dazu nutzen, die republikanische Bewegung zu entzweien, ihren eigenen Geheimdienst und ihre Spitzel-Anwerbung zu verstärken und vor der britischen und der Weltöffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, man habe eine Art Sieg über die IRA errungen. Gestützt wurde diese Argumentation durch Einzelheiten des ungeheuren Leids, das der nationalistischen und republikanischen Bevölkerung zugefügt worden war, und durch die vielen IRA-Freiwilligen, die ihr Leben lassen mussten – wie konnte man all das für ein Ende des bewaffneten Widerstands verschachern, ohne dass die Briten signalisierten, dass sie bereit seien, sich aus Nordirland zurückzuziehen? War das nicht dasselbe wie der schändliche Vertrag, den die „Old IRA“ 1921 mit der britischen Regierung geschlossen hatte, was dazu geführt hatte, dass mehr als eine halbe Million irische Katholiken gegen ihren Willen als Bürger zweiter Klasse im protestantischen, pro-britischen Staat Nordirland eingesperrt waren, wodurch fünfzig Jahre später all die heutigen Probleme ausgelöst wurden?
Diejenigen, die für die Waffenstillstands-Verhandlungen waren, argumentierten, es sei aus all den oben genannten Gründen dringend notwendig, als Ausgleich für die gesamten Schrecknisse einen politischen Erfolg zu erzielen und all das Leid als Ausgangspunkt für eine realistische Abmachung mit den Briten zu sehen. So wollten sie auch die unmöglichen Lebensumstände der derzeitigen IRA-Leute beenden. Die Gesuchten, die ständig auf der Flucht waren, sahen nämlich ihre Ehefrauen und Kinder nur noch selten, hatten ihre Arbeit oder ihr Kleinunternehmen aufgegeben, waren verschuldet und konnten ihren Familien auch keinerlei Aussicht auf irgendwelche Verbesserungen bieten. Die Ledigen, wie ich selbst, konnten keine Schulabschlüsse erreichen, hatten weder Arbeit noch Arbeitserfahrung, konnten Beziehungen zum anderen Geschlecht nur unter Schwierigkeiten aufnehmen und aufrechterhalten, und ihre Familien und Freundeskreise waren unglaublichen Belastungen ausgesetzt.
Alle IRA-Leute waren ständig davon bedroht, von einem Moment auf den anderen von den Terroristen der Sondereinsatzkommandos oder ähnlichen britischen Todesschwadronen, die manchmal mit paramilitärischen Protestanten zusammenarbeiteten, umgebracht zu werden. Wenn sie nicht getötet wurden, drohte ihnen die Internierung ohne Gerichtsverhandlung oder sehr lange Haft. Das Leben eines IRA-Vollzeitaktivisten konnte man nur für begrenzte Zeit auf sich nehmen. Deshalb – so wurde argumentiert – müsse man verhandeln und zum bestmöglichen Ergebnis kommen. Schließlich könne man, sollte es nötig sein, später ja wieder zum bewaffneten Widerstand übergehen. Genau da hakte das Argument aber. Diejenigen, die es vorbrachten, wussten genau, dass es viel leichter war, einen Feldzug zu beenden als ihn später wieder aufzunehmen, wenn alle schon wieder ihr friedliches Leben zuhause genossen.
Einzelne waren sogar äußerst verärgert darüber, dass überhaupt die Rede von einem Waffenstillstand war, weil sie das für verbalen Verrat und für verräterischen Ausverkauf von alledem hielten, wofür ihre Kameraden gekämpft hatten und gestorben waren.
Vor diesem Hintergrund kam es dann dazu, dass man über den „großen Schub“ sprach. Wenn eine militärische oder paramilitärische Organisation wie die IRA sich überhaupt auf Gespräche
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