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The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

Titel: The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shane O'Doherty
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allerdings viel Körpergewicht dadurch, dass ich Kalorien verbrannte, um mich warm zu halten. Am ersten Morgen meiner Einzelhaft fasste ein Arzt an meiner Zellentür den Eindruck, den die Gefängnismediziner von mir hatten, in folgende Worte: „Es gibt drei Arten Häftlinge, O’Doherty – Verrückte, Vergrämte und Verdorbene. Du bist alle drei zusammen.“ Offensichtlich ein Leser der Klatschblätter. Dieser bestimmte Arzt hasste mich vom ersten Augenblick an, und die Gefängniswärter machten sich mit mir über das Ausmaß dieses Hasses lustig, den sie selbst unglaublich fanden.
    Anfangs hatte ich zwei Bücher bei mir: „Licht auf Yoga“, das umfassende Handbuch von B. K. S. Iyengar, und die Bibel. Ich durfte Bücher per Post kaufen, solange ich nicht mehr als sechs in meiner Zelle hatte; also tauschte ich sie regelmäßig aus. Yoga brauchte ich, um mich in der Enge der Zelle fit zu halten und um Verspannungen zu lösen, die man in der Haft üblicherweise täglich bekommt. Die Bibel las ich von vorn bis hinten, als geistliche und mentale Übung, und auch um die Gewalt, die ich praktiziert hatte, zu rechtfertigen. Ich erwarb auch eine Neuübersetzung der vier Evangelien von Norman Marrow, einem Quaker, welche schnell zu meinem Lieblingsbuch wurde. Weitere Bücher kaufte ich per Post beim Internationalen Versöhnungsbund (IFOR), welcher Heftchen über Pazifismus, rechtliche Fragen und gewaltfreie Revolution veröffentlichte – allesamt Themen, die ich unbedingt durchdringen wollte. Ich schrieb mich auch bei der Howard League ein, einer Vereinigung, die sich der Strafrechtsreform widmete und regelmäßig Artikel über Strafrechtswissenschaft, Kriminologie und Projekte zur Verbrechensopferhilfe veröffentlichte. Außerdem studierte ich das Leben eines meiner Lieblingspolitiker, Keir Hardie, der an der Gründung der Labour-Partei in Großbritannien beteiligt war.
    Meine Einzelhaft war eine Zeit intensiver Bewusstheit, die durch weitere Faktoren angereichert wurde. Ich hatte ja schon zwei Jahre zuvor den Waffenstillstand unterstützt. Nun wollte ich für alle Zukunft an der Tatsache, dass ich schon in meiner Vergangenheit nach Frieden getrachtet hatte, und an der Erinnerung an das normale Leben während des Waffenstillstands und vor meiner Verhaftung festhalten. Meine Erfahrungen im Gefängnis in Belfast lasteten schwer auf mir, insbesondere weil der Konflikt in dieser Stadt von solch ausgeprägtem Sektierertum geprägt war, was mich vollkommen überraschte und den bewaffneten Kampf als solchen äußerst fragwürdig erscheinen ließ. Über dieses Problem hatte ich dort mit einigen bekannten Gefangenen diskutiert, darunter auch mit Brendan „Bik“ McFarlane. Dieser hatte später schwer an der Last zu tragen, dass er in den berüchtigten „H-Blocks“ des Maze-Gefängnisses in Long Kesh während der Hungerstreiks das Gesamtkommando über die IRA-Häftlinge führen musste.
    Welches Verständnis ich auch immer für IRA-Leute hatte, die sich genötigt sahen, die Ermordung von Katholiken durch paramilitärische Loyalisten mit Gleichem zu vergelten – Sektierermorde konnte ich absolut nicht akzeptieren. Zivilisten wurden, weil sie zufällig Protestanten waren, aus reiner Vergeltung ermordet. Dafür gab es nicht die geringste Rechtfertigung, und es verbitterte mich, dass IRA-Brigaden außerhalb von Derry solche Racheakte dennoch betrieben hatten. Ebenso wenig konnte ich IRA-Bombenaktionen in London oder sonst wo in England gutheißen, bei denen Zivilisten schwereren Risiken ausgesetzt waren als bei uns in Derry oder in Belfast. Die steigende Zahl getöteter Zivilisten in England wies darauf hin, dass das Leben britischer Zivilisten weniger wert war als das Leben irischer Katholiken bei uns in Irland.
    Ich hatte keine Erfahrung mit kürzerer oder längerer Einzelhaft und musste jetzt am eigenen Leib erfahren, dass ein einsamer Mensch nach Befriedigung all seiner eigenen Bedürfnisse strebt, sein Ich vervollkommnen will und daher äußerst selbstkritisch wird. Unter dem Einfluss meiner Lektüre machte ich mir Gedanken über mein Leben, mein Selbstverständnis und meine Zukunft. Indem ich das Gericht nicht anerkannt hatte, war ich zwar meinen republikanischen Prinzipien treu geblieben. Aber nun, da ich in den Eingeweiden des britischen Gefängniswesens dreißigmal auf Lebenszeit und zusätzliche zwanzig Jahre lebendig begraben war, sah ich mich als den „freiesten“ Menschen der Welt. Ich hatte meine Verpflichtungen

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