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The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

Titel: The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shane O'Doherty
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gegenüber der IRA und den Briten erfüllt und verspürte nun das Bedürfnis nach Freiheit. Ich wollte ich selbst sein, selbst denken und meine eigenen Ansichten statt die anderer äußern. Mein Gefühl sagte mir, dass ich die IRA unvermeidlich verlassen würde, und sei es auch nur aus dem Grund, dass ich dann endlich ein Leben als selbstbestimmtes Individuum hätte, wie es schon jahrelang nicht mehr der Fall gewesen war.
    Seit dem Tag an, an dem ich vor den Augen meiner Mutter verhaftet worden war, musste ich mir auch über den Tribut, der meiner Familie abgefordert worden war, Rechenschaft ablegen. Vielleicht war es zu spät, um vieles davon wiedergutzumachen, aber besser spät als nie, wie ich mir hoffnungsvoll sagte. Während ich auf der Flucht war, hatte ich mich damit begnügt, mich völlig auf die Gefahren und Schwierigkeiten, die mein eigenes Leben beeinflussten, zu konzentrieren, während ich meine Familie praktisch ignoriert hatte. Die regelmäßigen Besuche meiner Mutter und einiger meiner Brüder im Gefängnis gaben mir das Gefühl für die Bedeutung von familiären Bindungen zurück, das ich völlig verloren hatte. Meine Mutter und meine Geschwister hatten mir viel Unterstützung und noch dazu die Gewissheit gegeben, dass es in den langen Jahren, die vor mir lagen, immer so bleiben würde. Ich empfand nicht nur Dankbarkeit dafür, sondern auch ein Gefühl der Scham darüber, dass ich so viele Entscheidungen getroffen hatte, ohne die Auswirkungen auf meine Familie auch nur im Geringsten zu berücksichtigen. Ich fragte mich, wie ich mich wohl als stilles, unbeteiligtes Familienmitglied gefühlt hätte, wenn mein Bruder der britischen Regierung, der Armee, der Polizei und den paramilitärischen Loyalisten ebenso wie dem Geheimdienst, der mit ihnen zusammenarbeitete, den Krieg erklärt und mich dadurch plötzlich ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt und in Gefahr gebracht hätte.
    Dazu hatte ich ganz stark das Gefühl, die Dankbarkeit, die ich meiner Familie schuldete, erfordere es, dass ich die Organisation, der ich so lange verbunden gewesen war, verließe, um wie der verlorene Sohn nach Hause zurückzukehren. Zudem ging ich davon aus, dass der Verlust meiner Dienste als Freiwilliger der IRA nicht viel bedeutete, da ich ja ohnehin im Gefängniswesen in der Versenkung verschwunden war.
    Gleichzeitig mit meiner Identitätssuche begann ich eine Briefkampagne; damit wollte ich meinem Anliegen Nachdruck verleihen, dass ich nach Nordirland zurückverlegt werden wollte, wo man mich verhaftete hatte und wo meine Familie und ich lebten. Die Möglichkeit hierzu war gegeben durch ein Urteil aus dem Jahr 1960: „Der verantwortliche Minister kann entsprechend dem Antrag einer ihre Haftstrafe verbüßenden Person die Anordnung erteilen, diese Person in einen anderen Teil Großbritanniens zu transferieren und sie in einer entsprechenden Justizvollzugsanstalt in diesem Teil des Landes den Rest der Haft verbüßen zu lassen.“ Dies zitierte ich in Briefen an prominente Persönlichkeiten, die sich für Strafrechtsfragen und für das Schicksal irischer Häftlinge in englischen Gefängnissen interessierten. Schließlich schrieb ich sogar an den Bischof von Derry, eben jenen Edward Daly, dessen Kommentar zu meiner Verhaftung mir die Wärter, die mich in Belfast im Gefängnis malträtierten, vor die Nase gehalten hatten. Bischof Daly wurde für mich wie ein Vater und stärkte mir jahrelang den Rücken, während das britische Innenministerium und die Strafjustiz sich alle Mühe gaben, mich fertigzumachen.
    Zwei Parlamentsabgeordnete der Labour-Partei unterstützen und beeinflussten mich jahrelang. Andrew Bennett und Phillip Whitehead, beides mutige Männer, von denen ich viel über den Wert der individuellen Persönlichkeit lernte, besuchten mich fast zehn Jahre lang regelmäßig im Gefängnis. Zu einer Zeit, als die Klatschblätter danach schrien, IRA-Häftlinge solle man aufhängen, und wo Parlamentsabgeordneten, die Kontakt zu mir hatten, bösartige Hetzkampagnen drohten, entschlossen diese beiden sich dazu, mich zu besuchen und mir Hilfe anzubieten. Ich lernte daraus, dass es in jeder Gesellschaft Leute geben müsste, die willens und beherzt genug waren, den Feinden dieser Gesellschaft die Hand entgegenzustrecken. Wenn ich einmal von dem unermüdlichen Parlamentsabgeordneten und sozialdemokratischen Parteiführer John Hume in Derry absehe, gab es da weit und breit keinen vergleichbar Mutigen unter den gewählten

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