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The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

Titel: The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shane O'Doherty
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hatte, war angesprochen oder untersucht worden. Selbst die Qualitätszeitungen verfielen in die Ausdrucksweise der Boulevardpresse, um das unerwünschte Phänomen abzuhandeln: Der Bombenleger, der zu frech wurde ... Drahtzieher ging ins Netz ... Dreißigmal lebenslänglich für IRA-Terroristen ...
    Nach meiner Verurteilung wurde ich zu Ihrer Majestät Gefängnis „Wormwood Scrubs“ (etwa: Wermut-Brache) in Westlondon gebracht. Ein Gefängniswärter fragte mich nach meinem Namen, Geburtsdatum und Geburtsort. Ich gab an: „Derry, Nordirland“. „Wann sind Sie zum ersten Mal in das Vereinigte Königreich eingereist?“ fragte er dann. Ich wiederholte, dass ich in Nordirland geboren war, aber der Wärter blieb hartnäckig: „Ja, Paddy, aber wann bist du das erste Mal ins Vereinigte Königreich eingereist?“ Ich gab auf und sagte, es sei am Tag meiner Geburt gewesen, was ihn zufrieden stellte. Die Tatsache, dass Hunderte von britischen Soldaten gestorben waren, damit Nordirland Teil von Großbritannien blieb, war im Kopf dieses britischen Bürgers gar nicht angekommen.
    Nach einiger Zeit in einer kahlen Zelle bei der Rezeption des Gefängnisses mit dem finsteren Namen brachte man mich dorthin, wo ich meine Zivilkleidung ablegen sollte. Ich zog sie aus und weigerte mich dann, die Häftlingsuniform anzuziehen. Die Wärter fragten mich verdutzt, warum. Ich antwortete, ich sei im Gefängnis in Belfast im politischen Flügel gewesen, und nach meiner Verurteilung für IRA-Taten in Nordirland stünde mir der Status eines politischen Gefangenen zu. Nach wie vor betrachtete ich nämlich die Verurteilung aufgrund von IRA-Bombenattentaten in London als politisch. Schließlich befand ich mich ja im Vereinigten Königreich – wenn etwas in einem Teil davon als politisch motivierte Straftat galt, musste das ja in einem anderen Teil des Königreichs genauso gelten. Ich hatte nicht die Absicht, die Kleidung eines Kriminellen anzulegen. Daraufhin riefen die Wärter einen Vorgesetzten an und sagten mir dann, ich käme jetzt zur Einzelhaft in den „Sonderverwahrungsblock A“. Man gab mir Decken, Laken und einen Kopfkissenbezug. Ich warf mir eine der Decken um die Schultern und marschierte barfuß bei strömendem Regen durch große Pfützen, von einem Sicherheitsmann mit Schäferhund begleitet, hinüber zum „A-Block“.
    Als ich den Einzelhaft-Bau betrat, traf ich auf den katholischen Gefängniskaplan, Pater Gerry Ennis. Sein erster und absolut solidarischer Satz an mich lautete: „Zieh deine Kleidung an!“ Am nächsten Tag ließ ich ihn wissen, dass ich nichts mit ihm zu tun haben wollte und gestattete ihm monatelang keinen Zutritt zu meiner Zelle. Viel später aber half er mir, zu erreichen, dass meine Mutter mich besuchen durfte. Weil ich mich weigerte, die Häftlingskleidung zu tragen, durfte ich nämlich keinen Besuch bekommen. Danach kamen wir ins Gespräch und wurden schließlich im Laufe der Zeit zu engen Freunden.
    Ich begann nun also eine Zeit der Einzelhaft in Nacktheit, die vom 10. September 1976 bis zum 19. November 1977 dauerte. Anfangs versuchten einige Wärter, mich im Einzelhaft-Block zu misshandeln, aber der leitende Vollzugsbeamte Tanner, der die Oberaufsicht hatte, stellte klar, dass man sich an mir nicht zu vergreifen hätte, solange ich da wäre. Ein Wärter musste sich auf Tanners Geheiß sogar bei mir dafür entschuldigen, dass er mich belästigt hatte. Tanner war früher Armee-Offizier gewesen und war der Überzeugung, dass Regeln genauso für das Personal wie für die Häftlinge galten. Daher entwickelte ich großen Respekt für seine faire Art und mochte Tanner schließlich sehr gut leiden. Eigentlich war ich ja sehr dickköpfig und wäre eher gestorben, als dass ich mich gebeugt hätte, aber Tanner sorgte dafür, dass seine faire Behandlung mir keinerlei Anlass zur Klage gab; als Gegenleistung erwartete er, dass ich das Personal des Einzelhaft-Blocks nicht schikanierte. Er war einer der ganz wenigen prinzipientreuen Gefängnisbeamten, die ich während meiner vierzehn Jahre in den Gefängnissen Ihrer Majestät kennenlernte, und mit ihm konnte ich mich ernsthaft über meine Lage unterhalten.
    Da ich nichts als ein kleines Handtuch anstandshalber um die Hüften trug, war mir tagsüber, wenn ich auf den Beinen war, recht kalt. Während des Tages legte ich mich auch grundsätzlich nie ins Bett. Aber nach einigen Wochen fror ich selbst an den kältesten Tagen nicht mehr. Mager wie ich war, verlor ich

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