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The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

Titel: The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shane O'Doherty
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öffentlicher Sympathie mit den Schwestern geführt hatte. Ich erfuhr, dass man sie im Rahmen der Waffenstillstands-Abmachungen gerade nach Nordirland zurück überführt hatte, als der Waffenstillstand endgültig scheiterte. Pater Langan hatte die Geschwister Price sehr gemocht. Eine ihrer Bomben war vor dem Hauptgerichtshof Old Bailey explodiert. Er erzählte mir, er habe so viel Respekt für sie empfunden, dass er sich nicht getraut habe, ihnen zu erzählen, dass dabei seine Schwester, eine Rechtsanwältin, verletzt worden war. Die Geschwister Price hatten im Gefängnis von Brixton offensichtlich einen tiefen Eindruck hinterlassen, denn auch der Bildungsbeauftragte erzählte mir stundenlang von seinem großen Respekt für die beiden.
    Pater Lawn nahm in Gesprächen mit mir eine gegnerische Haltung ein, die ich als sehr anregend empfand. Einmal fragte ich ihm, wo ich einen Beweis dafür finden könne, dass sein katholischer Gott tatsächlich existierte. Er antwortete einfach: „ In den Evangelien natürlich.“ Daraufhin las ich die Evangelien das erste Mal, alle gleich hintereinander. Ich war sehr beeindruckt davon, wie die vier Berichte die Persönlichkeit des Mannes Jesus Christus durch seine radikalen Ansichten und Handlungen, seine Ablehnung jeglicher Scheinheiligkeit, seinen Einsatz für die Armen und seine beständigen, revolutionären Verweise auf die Liebe zu seinen Feinden anschaulich vermittelten. Es lag ein Idealismus in seiner Botschaft, der mir sofort zusagte, weil er so pur und von keinen Kompromissen oder Fehlern getrübt war.
    Ich sah nun das Problem, dass ich die ersten Risse in meiner republikanischen Gesinnung verspürte, die von dem bewaffneten Kampf und seinen vielen Opfern herrührten, aber es war mir auch bewusst, dass jetzt kein guter Zeitpunkt war, religiös zu werden. Deshalb verschob ich diese Gedanken auf später, zumindest bis nach meinem Gerichtsverfahren, denn ich wollte meine Verhandlung unbedingt als IRA-Mann hinter mich bringen und meinen Hohn über britische Vorstellungen von Gerechtigkeit für Irland und für Iren, die gegen die britische Besetzung Irlands kämpften, zum Ausdruck bringen.
     
    Aber der schwerste Schlag gegen meine Überzeugungen und meinen Idealismus sollte erst noch kommen. Es gehörte zum rechtlichen Verfahren, dass der Angeklagte Kopien von allem Beweismaterial erhielt, das in der Verhandlung gegen ihn verwendet werden würde. Also bekam ich im November 1975 einen Riesenstapel Protokolle von Aussagen und las sie alle in einer Nacht in meiner Einzelzelle im Gefängnis von Brixton. Es waren die Geschichten von jeder einzelnen Briefbombe und von den Personen, die von ihnen verwundet worden waren, einschließlich aller ärztlichen Berichte über die Verletzungen, die sie erlitten hatten. Diese Leute waren unschuldige Zivilisten, an die die Bomben gar nicht gerichtet waren, und ich war entsetzt. Hier hatte ich schwarz auf weiß den klarsten Beweis, dass ich mich durch meine Gewalttaten vom Idealisten, der sich moralisch im Recht fühlte, zum Straftäter, auf dessen Konto zahlreiche Menschenrechtsverletzungen gingen, verwandelt hatte. Nichts davon sah nach Gerechtigkeit aus. Ich sah mich jetzt mit den Folgen meiner aus sicherer Entfernung gezündeten Bomben konfrontiert, und das traf mich schwer. Es gab nicht die geringste Rechtfertigung für all diese Verwundungen, und ich bereute zutiefst meine selbstherrliche, gefühllose Missachtung der Zivilisten, die meine Opfer geworden waren, während ich mich an den Erfolgen meiner Bombenaktionen berauschte.
    Dabei wollte ich immer noch glauben, dass es gerechtfertigt war, Angehörige der britischen Streitkräfte zu verletzen oder zu töten, ebenso wie das politische Gegenstück der Armee, die Regierungsminister, die die militärische Besetzung eines Teils von Irland unterstützen oder zumindest duldeten.
    Ich suchte Antworten auf hundert Fragen gleichzeitig: Gab es Gott, und wie war er/sie? Gab es ein Verurteilungs-Krematorium, das darauf wartete, all diejenigen zu rösten, die der römisch-katholischen Kirche nicht gehorchten? Gab es eine Aussicht auf Gott und die Nachwelt, die dem katholischen Konzept vom Tag des Zorns – dies irae, dies illa –, dem Jüngsten Gericht und der verdammnisorientierten katholischen Haltung gegenüberstand? War ein Krieg nur dann gerecht, wenn man ihn gewann? Warum zermarterten sich die Briten nicht die Seele über ihre Gewalttaten in Ländern, die anderen gehörten? Ich steckte mitten in

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