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The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

Titel: The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shane O'Doherty
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diesen Überlegungen, als ich dabei unterbrochen wurde.

FAST SCHON HOCHVERRAT
    Am 5. September 1976 wurde ich zu meiner politischen Verhandlung [5] in den Gerichtshof Old Bailey gebracht und stand dort vor dem Oberrichter, Lord Justice Thesiger, von dem man mir sagte, er sei ein Urenkel des irischen Patrioten Lord Edward Fitzgerald. Ich hielt mich strikt an meine insgeheim bereits erschütterten Prinzipien und weigerte mich, das Gericht anzuerkennen, mich zu verteidigen, mich überhaupt zu beteiligen, ich tat und sagte nichts Strafmilderndes und hielt von der Anklagebank aus eine ungehaltene, verächtliche Rede, auf die der betagte Thesiger entgegnete: „Das war schon fast Hochverrat – eine entsprechende Anklage könnte Ihnen noch bevorstehen!“
    Er war entweder so alt oder so gelangweilt von den Vorgängen, dass er während der Verhandlung dauernd einnickte. Während meiner Rede von der Anklagebank hatte ich „jene unschuldige Arbeiter, die versehentlich und unbeabsichtigt durch meine Bomben verletzt wurden“, ausdrücklich um Entschuldigung gebeten. Meines Wissens war es das erste Mal, dass ein IRA-Volunteer sich öffentlich dafür entschuldigte, dass er Zivilisten verletzt hatte. Ich hatte der Republikanischen Bewegung mitgeteilt, dass ich mich entschuldigen würde, und es waren keine Einwände gekommen.
    Dem Gericht hatte ich zu verstehen gegeben, dass ich mich an der Verhandlung nicht beteiligen würde und ein „vollständiges“ Verfahren daher nicht nötig wäre, weil ich es nicht für erforderlich hielt, dass jeder einzelne Zeuge aufgerufen wurde. Hauptsächlich wollte ich damit meinen Opfern das Trauma ersparen, vor dem Gericht im Old Bailey antreten zu müssen. Die Folge war, dass die Verhandlung an einem Montagmorgen begann und am darauffolgenden Freitagnachmittag endete. Seit meiner Ankunft in London hatte mir die Polizei wiederholt ein Angebot gemacht. Die Beamten erklärten mir, wenn ich mich zur Zusammenarbeit bereit zeigte und mit Auskünften über die Organisation der Londoner Bombenattentate herausrückte, dann würden sie dafür sorgen, dass ich mit zehn Jahren davonkäme, und dazu hätte ich die Gewissheit, dass ich nach einem Drittel der Zeit, also nach drei Jahren und vier Monaten, auf Bewährung entlassen würde. Abzüglich der Zeit, die ich vor meiner Verurteilung schon im Gefängnis abgesessen hatte, hieß das, dass ich in zwei Jahren wieder frei sein konnte. Sie nannten mir einen anderen Gefangenen (dem allerdings keine schwerwiegenden Taten vorgeworfen wurden), der dieses Angebot angeblich schon angenommen hatte. (Später bekam dieser andere das Urteil und die Entlassung auf Bewährung, ganz wie sie es angekündigt hatten.) Sie erklärten mir auch, dass meine Verweigerung der Zusammenarbeit zum genau entgegengesetzten Ergebnis führen würde. Ich wusste ja schon, dass „Unabhängigkeit der Justiz“ bedeutete, dass es ins Ermessen der Polizei gestellt war, das Strafmaß schon vor der Verhandlung zu bestimmen.
    Sich darauf einzulassen, dass man seine Freunde und früheren Kameraden verriet, um ein milderes Urteil zu bekommen, war irgendwie widerlich. Ich ärgerte mich schon im Voraus über die Heuchler, die über der moralischen Frage, wie lange ich im Gefängnis sitzen sollte, die Hände rangen, während die Polizei und die Justiz nur zum Zweck der Informationsbeschaffung über das Strafmaß feilschten. Ob die händeringenden Heuchler die Polizei und die Justiz wohl auf das Thema ansprachen? Ich jedenfalls lehnte das Angebot der Polizei rundweg ab, woraufhin sie es jedes Mal wiederholten. Natürlich wusste ich, welche Konsequenzen das haben würde.
    Thesiger verurteilte mich zu lebenslanger Gefängnisstrafe für jeden der dreißig ersten Anklagepunkte, und zu gleichzeitiger Verbüßung von zwanzig Jahren Haft für den einunddreißigsten Punkt. Ich empfand diesen Richterspruch als hohl und ethisch bedeutungslos, blieb aber bei meinem Beschluss, das Gericht nicht anzuerkennen und legte deshalb auch keine Berufung ein.
    Die Presse wusste nicht so recht, wie sie mit dem Urteil umgehen sollte. Der Beweislage nach hatte man es hier mit dem führenden Kopf der Londoner Bombenserie des Sommers von 1973 zu tun. Er war damals achtzehn und Student. Er war ruhig, intelligent, kam aus einer guten Familie, und doch trieb es ihn dazu, in London Bomben zu legen. Er saß auf der Anklagebank in Hemd, Krawatte und Jackett und wirkte respektabel. Nichts von dem, was ihn oder seine Kameraden motiviert

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