The Walk: Durch eine zerstörte Stadt (German Edition)
hinaufgejagt.
Und er hatte überlebt.
Er hatte es besiegt.
Er war der gottverdammte Charlton Heston.
Luft pfiff durch die Lobby, wirbelte Papiere, Zeitschriften und Gipsstaub auf und drang in sein Bewusstsein. Er wandte sich von dem Treppenhaus ab und stolperte in die Büros. Noch glimmende Einbaulampen hatten sich in heruntergefallenen Deckenpaneelen verfangen und baumelten über reihenweise umgekippten Arbeitsnischen. Vergessene Brieftaschen, Geldbörsen und Jacken lagen überall verstreut, Beweismaterial einer hastigen Evakuierung.
Vielleicht, wenn er die Brieftaschen durchsuchte, dachte Marty sich, könnte er die Frau im Treppenhaus ausfindig machen. Oder vielleicht war sie gar nicht aus diesem Gebäude, nicht einmal aus diesem Straßenblock, vielleicht war sie aus ihrem meilenweit entfernten Vorgarten weggeschwemmt worden und die Hügel hinabgetrieben, ihr auseinandergerissener Körper ein Spielball der wirbelnden Wassermassen.
Marty wies sich selbst zurecht, nicht länger über sie nachzudenken, sondern sie an den Ort in seinem Gehirn zu verbannen, an dem auch Molly war. Mach die Tür zu und versuche, es hinter dem unnützen weißen Rauschen aus Telefonnummern von Restaurants, Erkennungsmelodien von Werbespots und den Namen von Zeichentrickfiguren zu verbarrikadieren.
Beim Gang durch den breiten Korridor spähte Marty in die verlassenen Büros, die aussahen, als seien sie geplündert worden, die Fenster verschwunden, Wind peitschte herein und wirbelte das Chaos auf.
Fenster .
Marty fiel plötzlich ein, dass er sich hier hoch über der Zerstörung befand, dass er, wenn er wollte, sehen konnte, was ihn am Boden erwartete. Er bahnte sich vorsichtig einen Weg in eins der Eckbüros, ängstlich darauf bedacht, nicht auf etwas draufzutreten oder durch die großen Fensterlücken hinunterzufallen.
Was er sah, ließ ihn schwindeln, ließ ihn an der Wand Halt suchen. Das Ausmaß der Zerstörung war fast zu groß, um es mit dem Verstand erfassen zu können.
Der Hollywood-Damm war gebrochen und das Staubecken des Lake Hollywood hatte sich über die Stadt ergossen, hatte den ganzen Hang mitsamt den Häusern mit sich gerissen. Die Wasserlawine hatte den Hollywood Freeway weggeputzt und die Einmündung des Cahuenga-Passes unter sich begraben, bevor sie sich in der darunterliegenden Stadt ausbreitete und in einer Trümmerwelle ganze Straßenzüge von der Bildfläche fegte.
Die Wucht der Wassermassen, die ob des mitgerissenen Unrats zäh dahinflossen, verminderte sich stetig, je weiter sie sich verteilten und je mehr Hindernisse sie überwinden mussten, und dünnte über eine immer größer werdende Ebene des Verderbens aus. Haufenweise schlecht sortierte Wrackteile (übel zugerichtete Schaukeln, verbogene Laternenmasten, Stücke von Fahrbahnen, ganze Busse) wurden angeschwemmt und blieben an Hochhäusern hängen, gefangen wie Seetang und Treibgut, während das Wasser vorbeiströmte.
Marty eilte von einem Büro ins nächste und prüfte die Aussicht aus den einzelnen Fenstern, er rannte, um so viel zu sehen zu bekommen, wie er konnte, bevor die Einzelheiten in Rauch, Staub und der Dämmerung, die die Stadt zusehends umfing, verschluckt wurden.
Das Wasser floss immer noch, verdünnte sich zu einem Rinnsal in V-Form, das sich in östlicher Richtung bis zur Western Avenue, im Westen bis La Brea und in südlicher Richtung bis zur Melrose Avenue ausdehnte. Helikopter schwärmten nun über Hollywood aus, Suchscheinwerfer durchkämmten die geflutete Ebene, um Überlebenden zu finden, oder aber um die Sinnlosigkeit der Bemühungen einzuschätzen.
Und dann realisierte Marty, dass irgendwo unter all dem Schlamm und Unrat, die die Straßen verstopften, Buck Weaver war, seine Waffen, sein Hund und seine Sammlung von Cocktailservietten. Marty kam nicht umhin, sich Buck vorzustellen, wie er sich trotzig der Welle entgegenstellte und sie herausforderte, ihn zu holen, wie er seine Knarre sinnlos in die Wand aus Wasser abfeuerte und ihr Beleidigungen entgegenschrie. Er verspürte eine starke, fast körperliche Trauer, und es überraschte ihn.
Marty hatte den Kerl nur wenige Stunden gekannt, und was er über Buck wusste, mochte er nicht. Warum also hatte er Tränen in den Augen?
Ihre Beziehung, wenn man es überhaupt so nennen konnte, war nicht wie in » Männerwirtschaft« . Da war keine versteckte Zuneigung hinter der Fassade ihrer Auseinandersetzungen. Buck war eine Gefahr für sie beide und Marty war froh gewesen, ihn endlich
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