The Walk: Durch eine zerstörte Stadt (German Edition)
Neandertaler-Frauen seufzten bestimmt genauso, wenn ihre Kameraden in die Höhle zurückkehrten.
»Sie sollten wirklich besser auf einen Arzt warten«, sagte Angie.
»Ich kann nicht. Ich muss nach Hause.«
»Wo ist das?«
»Calabasas.«
»Das ist zu weit. Sie sollten nicht zu Fuß gehen, nicht solange man Sie nicht neurologisch untersucht hat.«
»Und wie viele Tage dauert es, bis das geschieht?«
Angie sagte nichts, und das sagte ihm alles, was er wissen musste. Sie stieß ein Seufzen aus, dieses Mal ein ganz anderes Seufzen als das zuvor. Dieses hier signalisierte ihr widerwilliges Einverständnis. Marty zeigte auf den Helikopter, der im Leerlauf auf dem Gelände stand.
»Wenn Sie so um meine Gesundheit besorgt sind, wie wäre es denn, wenn einer dieser Hubschrauber mich beim nächsten Flug übers Tal zu Hause absetzen würde?«
»Leider ist das kein Taxidienst. Ich wünschte, es wäre so.«
»Wohin würden Sie sich bringen lassen?«
»Meine Mutter lebt in Marina Del Rey. Eine Wohnanlage zwei Blocks vom Strand entfernt. Ich habe gehört, der Boden unter allem hat sich in Treibsand verwandelt.«
»Das tut mir leid.«
Angie zuckte mit den Schultern. »Ich bin mir sicher, dass sie lebt. Ich würde es spüren, wenn es nicht so wäre, wissen Sie, was ich meine?«
Marty nickte, er würde gerne glauben, dass das stimmte, nicht nur für sie, sondern auch für sich selbst.
Angie entfernte die Nadel aus seinem Arm, klebte einen Wattebausch auf die Einstichstelle und teilte ihm mit, dass sie in ein paar Minuten wiederkommen würde, um sich um seine Stirn zu kümmern. Sie ließ Marty mit einer Packung Oreo-Kekse und einem kleinen Tetrapak Orangensaft zurück.
Buck sah ihr hinterher. »Hast du bemerkt, wie sie versucht hat, mich nicht anzuschauen?«
»Sie hat dich ignoriert. Das ist ein Unterschied.« Marty war im Moment nicht in Buck-Stimmung.
»Sie will auch ein Stück vom großen Kuchen.«
»Vom was?«
»Sie braucht den unglaublichen Buck-Fuck.«
Marty konnte Bucks mangelnde Sensibilität kaum fassen, obwohl er selbst nicht eben Michael Bolton höchstpersönlich war. »Sie hasst dich, darum hat sie dich ignoriert.«
»Du hast doch keine Ahnung von der Liebe«, Buck zog seine Hose hoch, fuhr sich mit dem Finger über die Zähne und wischte ihn dann an seinem Hemd ab. »Du bleibst hier, ich will nicht, dass du mir die Tour vermasselst.«
Während Buck loszog, um Angie zu beleidigen, lehnte Marty sich auf seiner Pritsche zurück und nippte an seinem Orangensaft.
Der Schnitt auf seiner Stirn brannte. Er würde genäht werden müssen. Die Narbe würde ihm Charakter verleihen. Und wie er so darüber nachdachte, wurde Marty klar, dass Buck recht hatte. Er hatte nicht viel Ahnung von der Liebe, was nicht bedeuten sollte, dass der »unglaubliche Buck-Fuck« Buck in dieser Hinsicht besonders qualifiziert hätte.
Vor fünf Jahren war Marty noch unverheiratet gewesen und verdiente seinen Lebensunterhalt als freiberuflicher Lektor, jede Woche brachte er einen Stapel Drehbücher mit nach Hause, um Synopsen und Bewertungen für verschiedene Sender zu schreiben. Eines Tages saß er in seiner Wohnung und las das Drehbuch zu einem Buddy-und-Cop-Film – an dem er in seinem Bericht kein gutes Haar lassen und das dann zwei Jahre später zu einem der kommerziell erfolgreichsten Filme aller Zeiten werden würde –, als sein Telefon klingelte.
Es war die Notaufnahme der Universitätsklinik von Los Angeles. Beth war in Westwood von einem Auto angefahren worden und hatte seinen Namen als Kontakt für den Notfall angegeben. Er sollte sofort vorbeikommen.
Urplötzlich erlebte er eine ganze Reihe von Klischees: Sein Herz setzte einen Schlag aus, seine Knie zitterten und er hatte Probleme zu atmen. Diese Gefühle hatte er erwartet. Was ihn überraschte, war die Angst. Die Vorstellung, dass er sie fast verloren hätte, dass sie in diesem Moment gerade leiden könnte, gab ihm das Gefühl, laut schreien zu wollen.
Marty verlangte Einzelheiten, welche Verletzungen sie hatte, wie schlimm sie verletzt war. Doch die Krankenschwester wollte seine Fragen nicht beantworten; sie sagte nur, er solle so schnell wie möglich kommen.
Er schaffte die Strecke von seiner Wohnung in West Los Angeles bis nach Westwood in ungefähr fünfzehn Minuten, er überfuhr zwei rote Ampeln und hätte um ein Haar selbst einen Motorradfahrer angefahren. Marty schaffte es kaum, durch seine Tränen hindurch etwas zu sehen oder über seine Angst
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