Themiskyra – Das Versprechen (Band 2) (German Edition)
Bob ließ ruckartig ihren Kopf los, der wieder auf die Brust zurück sackte. Er trat einen Schritt zurück und rieb sich angewidert das Auge – und ich begriff. Meine Schwester war nicht ohnmächtig. Sie hatte dem Typen ins Gesicht gespuckt.
Zuerst erfüllte mich tiefe Schadenfreude, dann aber blickte ich zu Bob und als ich sah, wie sich seine Miene verdunkelte, bekam ich Angst. Zu Recht. Mit einem Knurren holte er aus und trat ihr so heftig in den Bauch, dass der Stuhl, an dem sie festgebunden war, einen Meter auf das Fenster zu rutschte. Voll Entsetzen schlug ich die Hände vor den Mund, unterdrückte mit Mühe einen Aufschrei. Polly stöhnte gequält auf und hustete.
Ich hätte ihn umbringen können. Ich wollte ihn umbringen. Abgesehen von den Marodeuren, die meinen Vater auf dem Gewissen hatten, hatte ich noch nie solchen Hass auf jemanden empfunden.
Warum habe ich der Alten nicht ihre Schrotflinte abgenommen? fragte ich mich, rasend vor Zorn.
„Die treibt mich in den Wahnsinn, Mato.“ Bob schüttelte den Kopf. „Entweder sie weiß wirklich nichts oder sie ist die beharrlichste Person, die mir je untergekommen ist.“
„Wahrscheinlich weiß sie einfach nichts“, vermutete der andere, der offenbar Mato hieß, und betrachtete sie nachdenklich. Er kam mir ziemlich jung vor, vielleicht so alt wie ich, aber auf jeden Fall zu jung für jemanden, der in der Gegend herumlief und Menschen entführte und tötete. Aber wenn ich es mir recht überlegte, gab es da wohl keine Altersbeschränkung.
„Ich bin mir nicht sicher …“ Auch Bob sah zu Polly, die immer noch nach Luft rang, und seine Augen verengten sich zu Schlitzen. „Gehen wir. Ich habe die Schnauze voll.“ Er öffnete die Tür. „Soll sich später Noc ihrer annehmen. Wenn wir bis morgen nichts herausgefunden haben, müssen wir wohl subtilere Methoden anwenden.“
Die Tür fiel krachend ins Schloss. Ich atmete tief durch. Am liebsten hätte ich Polly gerufen, ihr gesagt, dass ich hier war und sie die Hoffnung nicht aufgeben solle, aber ich wagte es nicht aus Angst, von den 'Shimet gehört zu werden. Ich bemühte lediglich meine nicht existenten telepathischen Fähigkeiten, ihr diese Gedanken zu vermitteln, doch sie saß nur still da und reagierte nicht auf meine mentalen Botschaften. Vielleicht hatte sie inzwischen wirklich das Bewusstsein verloren …
Wenn ich nur wüsste, wie viele noch im Haus sind, dachte ich verzweifelt.
Ich riss mich von Pollys Anblick los und kroch zum nächsten Fenster. Leer. Kinderzimmer. Kinderzimmer? Ich kämpfte gegen eine erneute Welle der Übelkeit an, verdrängte Bilder, die ich nicht sehen wollte, vermied, mich weiter im Raum umzusehen. Geduckt lief ich weiter, schielte um die Ecke. Rechts befand sich einer der Ställe. Ich musste einfach darauf hoffen, dass dort im Augenblick niemand nach draußen sah, und eilte zum nächsten Fenster. Bad, leer. Das nächste. Gästezimmer, leer. Noch ein Gästezimmer. Nicht leer, stellte ich fest und zuckte zurück. Bob lag in einem der beiden Betten. Er hatte die Stiefel auf einem Kopfkissen abgelegt und starrte missgelaunt an die Decke. Ich hetzte weiter. Klo, Milchglas, vermutlich leer. Gangfenster. Wo war der andere hin? Egal, ich musste zurück zu Polly.
Unter ihrem Fenster angekommen lehnte ich mich gegen die Wand und rechnete. Acht Andraket ausgeritten. Einer in der Scheune, schlafend. Bob im Gästezimmer und der andere irgendwo anders. Dazu kamen eine unbestimmte Anzahl weiterer Männer, die sich in den Ställen oder auch irgendwo unterwegs befinden mochten. Eine ziemlich vage Rechnung.
Ich hörte ein Geräusch und nahm wieder meinen Spähposten zwischen den Fensterläden ein. Der jüngere von den beiden Marodeuren kam durch die Tür und schloss sie lautlos hinter sich. Die Kanten meiner abgebrochenen Fingernägel bohrten sich in meine Handflächen.
Ich dachte, vorerst ist Schluss mit der Quälerei? fragte ich mich erbost.
Aber als Mato sich umdrehte, sah ich, dass er einen Teller in der Hand hielt, auf dem er Kekse und einen Becher balancierte. Er ging auf Polly zu, stellte den Teller auf einem Hocker ab und kniete sich vor ihr hin. Damit ich sehen konnte, was er tat, ohne dass Polly die Sicht auf ihn verdeckte, verschob ich minimal meine Position und damit den Blickwinkel auf das Geschehen.
„Was zu trinken?“, fragte er leise.
Polly reagierte nicht.
„Oder willst du was essen?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Du musst was essen.“ Er klang
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