Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
Innenseite meiner Wange herum.
„Aus dem Keller?“, fragte Areto nach.
„Quatsch“, schnaubte Polly und warf unserer Tante einen augenrollenden Blick zu, der soviel besagte wie Du weißt doch, dass sie verrückt ist, aber sprechen wir es höflicherweise in ihrer Gegenwart nicht an . „Ich wollte zu Deianeira, aber Taminee hat uns das Licht abgedreht.“
„Und du?“, erkundigte sich Areto bei mir und hob eine strenge Augenbraue.
„Ich wollte Polly nicht alleine gehen lassen“, sagte ich schnell und setzte gespielt besorgt hinzu: „Was machst du eigentlich hier? Geht es dir auch nicht gut?“
„Mir geht es bestens“, schnappte sie. „Abgesehen davon, dass ich feststellen musste, dass du heute Abend deinen Tischdienst vernachlässigt hast. Ich musste kurzerhand jemand anderen einteilen. Sehr unerfreulich, für alle Parteien.“
Der vermaledeite Tischdienst. Als gäbe es nichts Wichtigeres.
„Wo treibst du dich nur herum? Ich habe dich gesucht, aber in eurem Zimmer konnte ich dich nicht finden. Eben wollte ich im Stall nach dir sehen.“
„Ich hatte heute keinen Appetit, deswegen habe ich das Abendessen ausfallen lassen. Den Tischdienst hole ich natürlich nach“, beeilte ich mich zu sagen.
„Natürlich“, sagte Areto spitz.
„Ell, mir ist furchtbar schlecht“, schaltete Polly sich wieder ein. „Das ist bestimmt die Cholera. Oder eine Kolik.“ Taminee tätschelte ihr beruhigend die Schulter.
„Du musst uns jetzt entschuldigen, Areto.“ Ich legte einen Arm um meine Schwester, den anderen um Taminee und schob beide auf die Treppe zu. „Gute Nacht!“
Ich konnte förmlich spüren, wie sich ihr Blick in meinen Rücken bohrte, aber alles, was sie zu mir sagte, war: „Falls sich deine Appetitlosigkeit auch in Übelkeit wandelt, seht zu, dass ihr unter Quarantäne gestellt werdet. Sonst sehe ich schon kommen, dass halb Themiskyra flach liegt, weil ihr irgendwelche Bazillen durch die Gegend schleudert.“
Ich grinste kommentarlos in mich hinein, dankbar, dass sie uns die Geschichte abgenommen hatte.
Im ersten Stock brachte ich Taminee in ihr Zimmer zurück, wo sie glücklicherweise nicht darauf beharrte, ihre nicht existenten Kuchengabeln zu inspizieren, sondern sich brav ins Bett legen ließ. Damit unsere Geschichte nicht zu unglaubwürdig wirkte, gingen wir danach tatsächlich zu Deianeira. Polly änderte die Cholerakolik in leichtes Magendrücken ab und bekam von der Ärztin Tee, Tropfen und ein paar Anweisungen mit.
Erst zurück in unserem Zimmer verzog sich das Adrenalin wieder aus meinen Blutbahnen.
„Das war cool“, fand meine Schwester und platzierte Tee und Tropfen demonstrativ auf ihrem Nachtkästchen.
„Ach ja? Ich bin tausend Tode gestorben.“ Aber ich wollte mich nicht beklagen. Immerhin hatten wir, was wir wollten.
Als ich leise in die Hütte trat, sah ich, dass nicht nur Dante schlief, sondern auch Louis auf dem Stuhl daneben eingenickt war. Der Einbruch in die Klinik hatte wohl doch mehr Zeit in Anspruch genommen, als ich gedacht hatte, und Louis war bestimmt müde von der Arbeit gewesen. Ich setzte Wasser auf und gab einen halben Teelöffel von der zerstoßenen Chinarinde in ein Sieb, das ich in eine Tasse hängte. Dann stand ich unschlüssig neben dem Bett und lauschte Dantes leicht rasselndem und Louis' gleichmäßigem Atem.
Was für ein Tag. Ein plötzlicher Müdigkeitsschub ließ den Raum vor meinen Augen nach unten wegwanken. Ohne lange zu überlegen, setzte ich mich auf den Boden neben Louis und lehnte meinen Kopf seitlich am Bett an.
Ich mische mich nicht ein, dachte ich vorsichtshalber. Ich sitze hier nur.
Ich mochte den Geruch, den die Hütte verströmte, nach Holz und alten Büchern und Kerzen und Louis. Immer noch ein bisschen auf der Hut betrachtete ich ihn. Den Kopf hatte er auf seine verschränkten Unterarme gelegt, die auf der Kante von Dantes Matratze ruhten. Ein paar Haarsträhnen waren über sein Gesicht gefallen und ich konnte meine Hand nur mit Mühe vom unerklärlichen Impuls abhalten, sie ihm aus der Stirn zu streichen. Er sah so friedlich aus, dass ich ihn gar nicht wecken wollte. Gar nicht wie der böse 'Shim, den Polly mir eingetrichtert hatte, um mein Selbstbewusstsein zu retten.
Was ist das nur mit dir? fragte ich ihn und gleichzeitig mich selbst.
Wir waren etwa einen halben Meter voneinander entfernt und in einer Sekunde wunderte ich mich, wie lange sein Gesichtsausdruck so sanft bleiben würde, bevor er mir gegenüber wieder
Weitere Kostenlose Bücher