Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
schon in der Nacht kennengelernt hatte, und Victoria, ein zartes, weißhäutiges Wesen mit schulterlangen, hellblonden Haaren und grünen Augen.
Von den anderen blieb mir nur Padmini im Gedächtnis, weil sie die Beeindruckendste von allen war. Sie schien die Älteste am Tisch zu sein, war sehr hübsch, ein ganzes Stück größer und zehnmal selbstbewusster als ich und trug ihre rabenschwarzen Haare in einem hohen Pferdeschwanz. „Herzlich willkommen in Themiskyra“, sagte sie lächelnd.
Das klingt wirklich so, als meine sie es ernst. Als solle ich bleiben. Als würde sie es gar nicht in Frage stellen, ob ich bliebe, stellte ich erstaunt fest. Dabei fand ich es schon bemerkenswert, dass sie mich Gewürm zu ihren Füßen überhaupt wahrnahm. Ich war auch über die Offenheit der anderen überrascht. Gerade bei so einer eingeschworenen Gemeinschaft hätte ich erwartet, dass Fremden mehr Misstrauen entgegen gebracht worden wäre. Später sollte ich lernen, dass diese Gefühle zwar durchaus existierten, jedoch für die Männerwelt reserviert waren, wohingegen Frauen stets freundlich behandelt wurden – solange sie sich an die Regeln hielten.
„Du kommst aus Citey?“, richtete Victoria das Wort an mich und sah mich neugierig an.
„Ja“, gab ich knapp zurück. Ich wollte nicht unfreundlich sein, aber ich hatte keine Lust, hier am Tisch meine Vergangenheit auszubreiten.
„Ich auch. Bin vor einem halben Jahr mit meiner Mutter und meiner Tante hergekommen, weil es zu krass in der Stadt wurde. Wir müssen unbedingt mal zusammen ausreiten und dann erzählst du mir, was in letzter Zeit so los war in der Stadt der Städte.“
Äh – nichts? Aber ich wollte sie nicht vor den Kopf stoßen und gab nur zurück: „Ich kann nicht reiten.“
Das Entsetzen am Tisch war groß. Sogar Polly sah mich völlig fassungslos an.
„Du machst Witze“, stieß Corazon aus.
„Das geht ja mal gar nicht“, befand Victoria, die als Erste die Sprache wieder gefunden hatte. „Wir gehen nachher in den Stall und ich zeig dir alles. Und Phoebe muss dir ab morgen Reitstunden geben.“
Das war keine Frage. Es stand für sie fest. Und ich wagte nicht, Einspruch zu erheben.
Als ich nach dem Abendessen – so reichhaltig und vielfältig, dass ich erst überfordert und dann überfressen war – neben ihr über den Hof zum Stallgebäude lief, ärgerte ich mich über mich selbst. Ich wollte nicht reiten. Pferdebücher hatten mich seit jeher gelangweilt. Ich mochte diese Ungetüme nicht mal sonderlich. Zu groß. Zu eigenwillig. In der Pflege viel zu aufwendig. Und trotzdem machte ich gute Miene zum bösen Spiel und fügte mich.
Du musst nicht. Keiner zwingt dich. Du kannst jederzeit gehen, sagte mein Verstand.
Aber irgendwie war das keine Option. Und das lag nicht nur daran, dass ich Victoria mochte. Es gefiel mir hier und der Gedanke, vielleicht doch noch ein Weilchen zu bleiben, klang mit jedem Atemzug verlockender. Mich unterschied so viel von den anderen Frauen, dass ich zumindest versuchen musste, mich ein bisschen anzupassen. Und die Reiterei schien ihnen extrem wichtig zu sein.
Wir traten durch das Tor ins stille Halbdunkel des Stalls und die eigenartige, einzigartige Geruchsmischung von Heu, frischem Stroh, Holz und Leder umfing mich. Auf beiden Seiten befanden sich mehrere lange Gänge, in denen sich viele Boxen aneinander reihten.
„Wir haben hier an die hundert Pferde“, erzählte Victoria und blieb bei einer Box nahe dem Eingang stehen. Eine riesige braune Nase streckte sich ihr entgegen und sie begann, sie zu streicheln. „Das ist meine Anguya. Du kannst sie gern anfassen, sie tut nichts.“
Obwohl ich mich überwand und dem Aspa, oder wie das hier hieß, vorsichtig über die Mähne strich, merkte mir Victoria an, dass etwas nicht stimmte, dass ich zu schweigsam war. „Ganz schön viel für den Anfang, nicht? Für mich war es schon ein Kulturschock und ich wurde immerhin als Amazone erzogen – wenn auch als verweichlichte Stadtamazone.“ Sie verzog sarkastisch das Gesicht. „Trotzdem hatte ich am Anfang Heimweh nach der Stadt.“
„Heimweh habe ich nicht. Dort habe ich niemanden mehr und verglichen mit den Zuständen in Citey ist es hier wirklich paradiesisch. Aber …“, … ich weiß ja nicht mal, ob ich wirklich bleiben werde. „… du hast recht. Es ist alles vollkommen neu für mich. Ich wusste ja nicht mal, dass es euch überhaupt gibt.“
„Uns“, verbesserte Victoria. „Du bist jetzt eine von uns.
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