Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
Atalante.
Das passte mir nicht, aber ich kam wohl nicht drum herum. Was für eine wilde Geschichte, dachte ich. Was für ein Lügengebäude, nur um der Tradition gerecht zu werden …
„Ich habe Polly aber schon von meinem Weg hierher erzählt und der passt nicht so hundertprozentig mit der offiziellen Geschichte zusammen“, merkte ich an.
„Dann muss sie die wahre Geschichte erfahren“, sagte Tetra.
Atalante sprang auf und begann, im Raum auf und ab zu gehen. Sie schien besorgt.
„Es ist nur fair, wenn sie sie kennt“, fand ich. Mir war mein ganzes Leben lang die Tatsache vorenthalten worden, dass ich eine Mutter hatte, deshalb plädierte ich für bedingungslose Offenheit Familienmitgliedern gegenüber.
„Nun gut“, gab Atalante mit einem Seufzen nach. „Sie ist alt genug, um ein Geheimnis zu bewahren. Geh sie bitte holen, Tetra.“
Als Tetra gegangen war, schwiegen wir uns eine Weile an. Mein Kopf war wie leergefegt und Atalante schien es nicht anders zu gehen.
Schließlich räusperte sie sich und fragte: „Ich habe gehört, du hattest deine erste Reitstunde heute? Wie ging es?“
„Ganz gut, überraschenderweise“, antwortete ich
„So überraschend ist das nicht. Es liegt dir im Blut“, sagte Atalante schlicht.
Amazonenblut, dachte ich und starrte die blauen Adern an meinen Handgelenken an. In mir fließt Amazonenblut.
Es klopfte erneut und Tetra kam mit Polly herein, die auf ihre Mutter zulief. Die beiden umarmten sich, dann hielt Atalante ihre Tochter eine Armlänge von sich weg, sah ihr lächelnd ins Gesicht und strich ihr liebevoll eine Haarsträhne aus den Augen. Nach all dem Gerede vom Kinderweggeben tat mir der Anblick der beiden gut. Atalante liebte Polly offensichtlich sehr. Vielleicht konnte sie mich eines Tages genauso lieben.
Polly bemerkte, dass ich mich auch im Raum befand und fragte überflüssigerweise: „Ell und du, ihr habt euch schon kennengelernt?“ Sie sah ihre – unsere Mutter flehend an. „Atalante, es ist mir ernst. Ell muss in meinem Zimmer bleiben. Ich vereinsame sonst und kann kein Auge zutun und trete in den Hungerstreik und –“
Atalante winkte mich mit einer kleinen Handbewegung zu sich und legte ihren Arm um mich.
„Ja, sie wird weiterhin in deinem Zimmer schlafen, Hippolyta. Sie ist deine Schwester.“ Atalante redete nicht lang um den heißen Brei herum, aber Polly verstand sie falsch und ging davon aus, dass sie Schwester im Amazonensinn und nicht leibliche Schwester meinte.
„Ja, sie ist cool“, stimmte sie zu und sah mich bewundernd an, was mich verlegen machte, weil ich mich ganz und gar nicht so fühlte.
„Nein, Polly, sie ist deine richtige Schwester. Aella ist meine Tochter“, erklärte Atalante geduldig. Polly machte große Augen. „Okay, auch cool.“ Dann sickerte das Gehörte richtig durch und ein Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Echt?“, fragte sie Tetra zur Sicherheit.
Als diese nickte, fiel mir Polly in die Arme und drückte mich an sich. „Wo warst du denn nur all die Jahre?“
„Bei unserem Papa“, antwortete ich, aber als ich Atalantes Stirnrunzeln bemerkte, sprach ich nicht weiter, sondern beschloss, mir diesen Teil des Gesprächs aufzuheben, bis Polly und ich uns unter vier Augen unterhalten konnten. Die Amazonen mögen ihre Väter vielleicht verschweigen, aber ich würde meiner Schwester mit Sicherheit nicht ihren Vater vorenthalten. Zumindest nicht meine Erinnerung an ihn. Staunend lauschte sie der Geschichte, die wir chronologisch erzählten, erst Atalante, dann ich, Tetra und schließlich wieder Atalante. All die Ereignisse noch einmal in einer weiteren Erzählung zu durchleben, erschöpfte mich. Irgendwann bemerkte Atalante, dass mir unentwegt die Augen zufielen und sie schickte Polly und mich nach unten.
Als wir in unseren Betten lagen und ich in die Dunkelheit starrte, immer noch halb paralysiert von der unglaublichen Wahrheit, die an diesem Abend über mich hereingebrochen war, sagte Polly plötzlich in die Stille: „Ich bin froh, dass du endlich hier bist.“
„Ich auch. Ich wünschte nur, es hätte einen anderen Weg gegeben, euch zu finden“, erwiderte ich nachdenklich.
Am Klang ihrer Stimme vernahm ich, dass sie sich zu mir herumgedreht hatte. „Wir machen das alles besser. Keine Geheimnisse mehr. Zwischen uns beiden, meine ich.“
„Ja“, sagte ich fest. „Versprochen.“
Ich glaubte, sie lächeln zu hören.
„Ich hab' dich lieb, Aella.“
Obwohl ich die Erhabenheit des
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