Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
war ja nicht lebensmüde. Aber ich war verwirrt – Wo ist Phoebe hin? – und unkonzentriert – Was will der hier? – und schaute nicht auf den Boden vor mir. Stattdessen starrte ich immer noch perplex zu dem Arbeiter, dessen Miene sich plötzlich von gedankenversunkenem Desinteresse in Besorgnis und dann in Erschrecken verwandelte. Ich weiß noch, dass ich mich eine Zehntelsekunde lang darüber wunderte, dann tat es einen Schlag und ich sah grauen Himmel und grünes Gras aus verwirrenden Richtungen an mir vorüberziehen, bevor ich auf einem ziemlich matschigen Stück Wiese landete.
Wo sonst. Ich hätte auch im weichen hohen Gras aufkommen können – oder besser noch, ich hätte einfach aufpassen und Hekate um die Heuballen herum lenken können. So jedoch war sie einfach darüber gesprungen. Und ich, zerstreut wie ich war, hatte das weder kommen sehen, noch mich entsprechend vorbereitet und war in hohem Bogen von ihrem Rücken gesegelt. Hekate hatte das ja auch schon mit Tetra geübt, ich hingegen noch nicht.
Benommen saß ich im Dreck. Nässe und Schmutz drangen durch meine Stoffhose, die ich heute aufgrund der widrigen Umstände vor der Reitstunde nicht gegen meine Lederhose ausgetauscht hatte. Und alles, was ich denken konnte, war: Das ist der schlimmste Tag meines Lebens.
Das stimmte natürlich nicht. Es hatte schon schlimmere gegeben. Viel schlimmere. Doch dann setzte der Regen wieder mit voller Wucht ein. Binnen weniger Sekunden war ich komplett durchnässt und der Matsch, in dem ich saß, hatte sich zu einer schlammigen Suhle weiterentwickelt. Ich erwog, meine Schlimm-Skala doch nochmal zu überdenken. Insbesondere, als ich aufblickte und feststellte, dass der Typ trotz des Regengusses immer noch da war und mich mit leichtem Spott beobachtete. Ich verengte meine Augen zu Schlitzen und warf ihm den bösesten Blick zu, den ich in meiner derzeitigen Verfassung zustande brachte, aber er schien an ihm abzuperlen.
Was für eine Frechheit! Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, dass die Vorstellung jetzt beendet sei und er sich verziehen solle, aber ich hatte einen Kloß im Hals und traute meiner Stimme nicht. Also beließ ich es dabei, ihn zu ignorieren und mich auf die Fragestellung zu konzentrieren, ob ich einfach bis in alle Ewigkeiten in meinem Schlammloch sitzenbleiben oder mich ein weiteres Mal aufrappeln sollte. Wenn ich sitzenblieb, hatte ich den Vorteil, dass ich nicht wieder hinfallen konnte. Aber dafür erhöhte sich das Risiko, von einem Blitz erschlagen zu werden – was bei meinem Glück an diesem Tag nicht so gering war.
Hekate kam auf mich zugetrabt und begann, als sei nicht geschehen, an meinem Pulli zu knabbern. Mühsam zog ich mich an ihr hoch und als ich wieder in Richtung Zaun blickte, verschwand der Arbeiter gerade im Stall. Zwei Sekunden später erschien Phoebe wieder.
„Entschuldige, ich musste Clonie kurz beim Beschlagen helfen. Was ist passiert?“, fragte sie erstaunt, als sie mich neben statt auf meinem Pferd erblickte.
„Nichts“, brachte ich hervor und bemühte mich, mein Humpeln zu verbergen, als ich auf sie zuging. „Ich bin nicht so fit heute. Können wir wann anders weitermachen?“
„Du bist vom Pferd gefallen“, stellte sie fest, nachdem sie mich von zerzaustem Kopf bis verschlammtem Fuß gemustert hatte, und fuhr heiter fort: „Davon darfst du dich nicht entmutigen lassen. Am besten steigst du gleich wieder auf und machst weiter.“
Ich sah sie mit dem zweitbösesten Blick an, zu dem ich imstande war, und sie relativierte schnell: „Oder du nimmst dir den Rest des Nachmittags frei und erholst dich ein bisschen. Wie wäre das?“
Im Vergleich zu Tianyu war sie wirklich eine Seele von Mensch und ich dankte es ihr mit dem Versuch eines Lächelns.
„Besser. Danke.“
Ich führte Hekate unter Schmerzen in den Stall zurück und während ich sie versorgte, sah ich weder nach links noch nach rechts. Um nichts in der Welt wollte ich mich dem Hohn des fiesen Arbeiters aussetzen – und sei es auch nur in Form eines Blicks. Ich fühlte mich beobachtet, aber ich sah nicht auf, sondern verrichtete nur stoisch meine Arbeit. Danach verließ ich das Gebäude, so schnell mich meine geschundenen Knochen trugen.
„Aella?“
Entmutigt sackte ich in mich zusammen und blieb stehen, blickte jedoch nicht auf, als sich Atalante vor mir aufbaute. Ich sah nur ihre Stiefel und den regennassen Umhang, aber das genügte mir auch. Der Klang ihrer Stimme verdeutlichte hinreichend
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