Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
blökte mein Verstand.
So ging es den ganzen Tag. Gegen Abend hielt ich es nicht mehr im Bett aus und ging eine Weile auf und ab, bis ich mich dabei ertappte, dass ich ständig mit halbem Auge aus dem Fenster schielte.
Das ist nicht verboten, sagte ich mir. Da ist nichts dabei. Es ist mein gutes Recht, das Fenster zu benutzen. Dafür ist es da. Deshalb ist es durchsichtig.
Ja klar. Doch auch mein verbiesterter, wenn auch vollkommen korrekter Verstand konnte mein leuchtendes, wenn auch vollkommen fehlgeleitetes Herz nicht davon abbringen, mich näher an die Glasscheibe treten zu lassen.
Lass uns noch ein Lächeln abstauben, drängte es mich und schwirrte in meiner Brust, als endlich eine berittene Gestalt durch die Tore kam.
„Aella!“
Ich fuhr schuldbewusst herum. Polly stand in der offenen Zimmertür, die Hände in die Hüften gestützt. Sie nannte mich nur bei meinem richtigen Namen, wenn sie mich ärgern wollte, oder wenn sie rechtschaffen empört war. Aber sie konnte doch unmöglich wissen …
„Du hast nicht aufgegessen!“, schnaubte sie, warf die Tür hinter sich zu und zeigte aufgebracht auf mein Tablett. „Glaubst du, ich verbringe meine freie Zeit in der Küche, weil es mir so unglaublich viel Spaß macht, für dich den Leibkoch zu spielen?“
Ich atmete auf. „Entschuldige, Polly. Ich hatte keinen Hunger …“
„Das ist mir gleich“, unterbrach sie mich. „Und ob es dir schmeckt oder nicht, ist mir auch egal. Wenn du nicht aufisst, steck ich dich in die Klinik.“
Zerknirscht ließ ich mich auf einen der Stühle sinken und begann halbherzig, mein kaltes Mittagessen zu verzehren.
„Was ist los?“, fragte Polly argwöhnisch und setzte sich mir gegenüber.
„Nüx.“ Appetitlos stocherte ich in den Bohnen und versuchte dabei, jeweils eine auf jeden Zinken meiner Gabel zu spießen. Ich war deprimiert und erleichtert und enttäuscht und glücklich. Wie sollte ich Polly etwas erklären, was ich selber nicht verstand? Ich sah auf. Ihr Blick – kein spezieller, nur einfach der meiner Schwester – rückte mir den Kopf zurecht.
Ist doch alles völlig lächerlich. Die Einsamkeit hier oben tut mir nicht gut. Ich bin eine Amazone.
„Nichts“, wiederholte ich fest. „Danke für deine Mühe. Und es schmeckt mir wirklich gut. Sogar kalt.“
„Gut. Dann iss.“
Ich gehorchte – natürlich. Sowohl Polly, als auch meinem Verstand. Das führte einerseits dazu, dass ich tatsächlich binnen einer Woche wieder auf den Beinen war und mein Training wieder aufnehmen konnte, und andererseits, dass ich fast paranoid jeden Blick aus dem Fenster und den Stall zu bestimmten Zeiten mied, auch wenn mein Herz wütend dagegen anzuflattern versuchte. Und für eine gewisse Zeit schien meine Strategie tatsächlich zu funktionieren. Nach und nach wurden die gedankenversunkenen Momente seltener und mein Herz begann, wieder in normalem Tempo zu schlagen.
Die nächste Stunde beim Tianyu lief besser. Endlich erhielt ich wieder das eine oder andere Lob, allerdings war ich auch gut vorbereitet und konnte sämtliche Fachbegriffe vorwärts und rückwärts herunterbeten. Immerhin hatte ich mich ihrem Studium sehr exzessiv gewidmet – jedes Mal, wenn meine Gedanken zu Louis abzudriften gedroht hatten.
„Geht doch“, sagte sie und schon diese knappe Aussage ließ mich vor Stolz glühen.
Am nächsten gemeinsamen Frühstückssonntag lehnte sich meine Mutter nach dem Essen zurück und fragte Tetra: „Wie sieht es aus mit der Sonnenfeier?“
„Wenn du die allgemeinen Feierlichkeiten meinst, kann ich dir versichern, dass die Planungen entsprechend deinen Anordnungen abgeschlossen und die Vorbereitungen im Gange sind. Aber ich denke, du spielst auf die potentiellen Yashti an …“
„Was für eine Sonnenfeier und welche Yashti?“, unterbrach ich sie mit vollem Mund und verschluckte mich halb dabei. Ich hatte gelernt, lieber gleich nachzufragen, bevor ich mich hinterher lächerlich machte, weil ich mich nicht auskannte.
Atalante sah mich strafend an. Obwohl unsere Treffen immer recht ungezwungen abliefen, billigte sie Unhöflichkeit keineswegs. Es kam mir immer so vor, als dächte sie in diesen Augenblicken, dass es kein Wunder sei, wenn ich mich daneben benahm, immerhin war ich von einem Mann aufgezogen worden. Weil ich nicht wollte, dass sie schlecht über meinen Vater und seine zweifelsfrei phantastischen Erziehungsmethoden dachte, versuchte ich meist, mich mustergültig zu verhalten, aber ab und zu landete
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