Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
mein Vater ein Teil von Polly. Ich war nicht das Einzige, das von ihm übriggeblieben war. Eine warme Welle der Zuneigung zu meiner Schwester schwappte über mich. Obwohl ich sie vom ersten Moment an gemocht hatte, fühlte ich mich ihr nun wirklich tief verbunden. Ich schwor mir, diese Verbindung nie zu vergessen. Was auch passierte, ich würde mich nicht nochmal von ihr trennen lassen.
Ich fiel ihr um den Hals. „Es tut mir leid, dass ich weggelaufen bin.“
„Mach es einfach nicht wieder . “
„Versprochen.“
„Und keine Mutlosigkeit mehr. Ride the wind, take on your destiny. You gotta get much higher .“
„Ich versuche es.“
„Du? Wer ist eigentlich Steve Bonanno?“, wiederholte sie und ich musste über ihre Beharrlichkeit lachen.
„Von der Hartnäckigkeit hast du aber mehr abbekommen als ich“, stellte ich fest.
„Dafür bist du größer.“
„Noch.“
„Also?“
Ich seufzte. „Steve Bonanno war mal mein Lieblingsschauspieler, ich habe keinen Film von ihm verpasst und zu Hause habe – hatte ich sie alle auf GreenRay. Jede Textzeile, die er je von sich gegeben hat, konnte ich auswendig, und ich hätte vor dem Kino gezeltet, um die ersten Karten und die besten Sitzplätze zu ergattern, wenn ich gedurft hätte.“
„Warum?“, fragte Polly schlicht.
„Weil er toll ist!“ Ich geriet ins Schwärmen. „Er sieht unglaublich gut aus, hat strahlende blaue Augen und ein atemberaubendes Lächeln.“
„Und jetzt ist er wahrscheinlich tot, weil er nur ein Filmheld ist und sonst nichts draufhat“, konstatierte meine Schwester nüchtern.
„Danke, Polly, das baut mich jetzt wirklich auf.“ Ich rollte mit den Augen.
„'tschuldigung.“ Ihre Reue ließ deutlich an Überzeugungskraft vermissen. „Jetzt iss auf und danach kannst du mich mit sämtlichen Textzeilen aus Steves Werk unterhalten. Und was Tianyu angeht: Lass dich nicht unterkriegen.“
„Ich werde es versuchen.“ Ich seufzte. „Gibst du mir was von deiner Beharrlichkeit ab?“
„Nur, wenn ich ein paar Zentimeter von deiner Körpergröße bekomme.“
„Okay. Abgemacht?“
„Abgemacht.“
Am nächsten Tag erwachte ich im Morgengrauen und fühlte mich bedeutend besser. Die blutbildende Diät zeigte Wirkung: Ich schaffte es ohne Kreislaufkollaps oder fremde Hilfe auf die Toilette und zurück. Als ich wieder ins Zimmer kam, tauchte die Sonne gerade als orangefarbener Ball hinter dem Wald auf. Leise, um meine Schwester nicht zu wecken, trat ich ans Fenster und bewunderte den flammenden Himmel über der schlafenden Amazonenstadt.
Eine Bewegung auf dem Hof ließ mich zu dem schmalen Pfad blicken, der zwischen Stall und Schmiede hindurchführte, und ich erkannte Louis, der auf dem Weg in die Stallungen beiläufig zur Kardia blickte – und stehenblieb, als er mich im Fenster entdeckte. Ich winkte ihm zu, weniger ein Gruß als vielmehr ein Zeichen, dass ich wohlauf war. Vielleicht interessierte es ihn ja.
Und dann geschah etwas ganz Erstaunliches. Er, der mich seit meinem ersten Tag hier aus unerfindlichen Gründen hasste, hob erst einen Mundwinkel, dann den anderen und blinzelte mir mit beiden Augen zu.
… sogar noch hübscher, wenn er so strahlt … Dieser unwillkürliche Gedanke wurde von meinem angestrengt klopfenden Herzen unterbrochen. Offenbar war ich doch noch nicht so richtig fit. Ich riss mich energisch von Louis' Anblick los und schlapfte wieder zu meinem Bett. Aber da ich den Tag davor fast ausschließlich schlummernd zugebracht hatte, fand ich nun keinen Schlaf mehr. Eine halbe Stunde wälzte ich mich hin und her, dann stand Polly auf, brachte mir ein reichhaltiges Frühstück und verschwand, um selbst zu frühstücken.
Ich verputzte restlos alles, legte mich wieder hin und sah zu, wie die Färbung der Zimmerdecke langsam von Sonnenaufgangsorange ins Bläuliche überging. Irgendwie war mir komisch.
Es klopfte. Eilig schlüpfte ich in meine Trainingshose, um meinen Verband zu verdecken, und rief: „Herein!“
Atalante kam ins Zimmer gerauscht. „Wie geht es dir, mein Schatz?“ Ihre liebevolle Mütterlichkeit ging runter wie Öl. Sie setzte sich auf den Stuhl neben meinem Bett.
Mein Lächeln war echt, als ich antwortete: „Besser. Danke.“
Eine Weile zupfte sie stumm an der Tischdecke herum, bevor sie mich wieder ansah. „Aella, ich weiß, dass es meine Schuld ist, dass du weggelaufen und nun krank bist.“
Irgendetwas in mir, das nach Mutterliebe gierte, wollte mich den Kopf schütteln lassen,
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