Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
aber mein Stolz zwang mich, ihr einfach in die Augen zu blicken und abzuwarten.
„Das tut mir sehr leid. Ich nehme nicht zurück, was ich gesagt habe, denn ich bin immer noch der Meinung, dass ich recht habe. Aber ich wusste, dass du ein zu weiches Herz hast und dass du mich falsch verstanden hattest – und habe dennoch nicht reagiert. Zumindest nicht schnell genug.“
Was war das nur mit meinem Magen? Mir war richtiggehend übel. Hatte ich mich am Frühstück überfressen? Nein, das fühlte sich für gewöhnlich anders an.
„Ich hätte dich aufhalten müssen und die Sache gleich klären sollen, statt mich von meinem Ärger leiten zu lassen. Ich wollte dich nicht verletzen.“
Ich nickte ihr mein Verständnis zu, rollte mich auf die Seite und fühlte genauer in mich hinein. Überrascht stellte ich fest, dass es sich um Aufregung handelte, die meinen Magen so in Aufruhr versetzte. Aufregung darüber, dass meine Mutter mich um Verzeihung bat? Nein, das verschaffte mir zwar Genugtuung, war aber nicht die Ursache der kribbelnden Spannung, die ich verspürte.
„Weißt du, du musst nicht in den Krieg ziehen. Die Amazonen leben seit jeher in Frieden mit der Natur und ihren Mitmenschen, sofern es nur irgendwie möglich ist. Aber das Leben in Themiskyra ist kein … wie sagst du immer?“ Sie runzelte die Stirn beim Versuch, sich zu erinnern. „Kein Ponyhof.“
Das klang so komisch aus ihrem Mund, dass ich grinsen musste.
„Und ich erwarte von dir, dass du alles tust, um vorbereitet zu sein.“
Vielleicht ein posttraumatischer Schock? Umständlich wickelte ich mich in meine beiden Daunendecken ein, das hatte ich früher im Fernsehen so gesehen. Wenn da etwas Schlimmes passiert war, kamen immer Polizei und/oder Sanitäter und packten Familienangehörige und/oder Überlebende in Decken.
„Was auch immer kommen mag. Und die Kenntnis der Waffen, die uns zur Verfügung stehen, und der Wachdienst gehören nun mal dazu.“
Der Effekt war nur, dass mir furchtbar warm wurde. Die Unruhe blieb.
„Ich möchte mir keine Sorgen um dich machen müssen. Und ich bin mir ganz sicher, dass du deine Sache gut machen wirst.“ Sie sah mich erwartungsvoll an und ich bemühte mich, für einen Moment meine besorgniserregende Nervosität außer Acht zu lassen.
Sei's drum, dachte ich. Dann lasse ich mir eben zeigen und wie man diese Tötungsmaschinen bedient. Das heißt ja nicht, dass ich das Gelernte auch anwenden muss.
„Okay“, stieß ich, immer noch etwas unbegeistert, hervor. „Dann lerne ich das halt.“
Sie wusste, dass sie im Moment nicht mehr von mir erwarten durfte, und ließ es damit auf sich bewenden. „Du hast ja noch Zeit. Vollende erst deinen Dienst in den anderen Bereichen, danach gehst du zur Wache.“ Sie erhob sich und steckte sorgfältig meine Decken fest. „Ich lasse dir jetzt wieder deine Ruhe. Deine Augen sehen schon wieder ganz fiebrig aus. Vielleicht sollten wir dich doch hinüber ins Krankenhaus bringen“, überlegte sie besorgt.
„Nein, mir geht es schon viel besser“, erwiderte ich hastig.
Sie sah mich zweifelnd an. „Auf jeden Fall bist du von deinem Unterricht freigestellt, bis du dich wieder ganz erholt hast.“
„Danke.“ Das verschaffte meinem Bein Zeit zu heilen und meiner Seele die Gelegenheit, sich auf Tianyus Grausamkeiten vorzubereiten.
Meine Mutter verließ den Raum und ich versuchte, mich zu entspannen und ruhig zu atmen, während ich auf die Bilder wartete. Bilder, die mich tags zuvor immer wieder heimgesucht hatten, wenn ich meine Gedanken hatte wandern lassen – Riesenventilatoren, Metallgitter, steigende Wasserpegel, dazu das stetige, nervtötende Plätschern von eindringendem Flusswasser …
Doch alles, was ich jetzt sah, waren warmleuchtende Reflexe in schwarzen Augen und das atemberaubendste Lächeln, das mir je geschenkt worden war. Mir wurde noch flauer.
… er rennt in die Halle und beugt sich über die Balustrade. Das Licht aus dem Nebenraum bricht sich auf dem Wasser und reflektiert bewegte Muster auf sein unbewegtes Gesicht. Sein Körper scheint unter Hochspannung zu stehen, während sein rastloser Blick über die schwarze Wasserfläche jagt, bis er an einer Stelle verharrt, die dunkler, dichter wirkt. Ohne zu zögern streift er Mantel und Stiefel ab, stürzt sich in die überflutete Maschinenetage und krault in wenigen kraftvollen Zügen zum Generator. Fieberhaft durchtastet er die zähe Finsternis des Wassers, findet ein Metallgeländer … findet sie.
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