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Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)

Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)

Titel: Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dani Aquitaine
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seiner Schroffheit klar gekommen, so lange ich mir einreden konnte, dass ich ihn nicht mochte. Aber jetzt, da wir Arbeitskollegen, vielleicht sogar so etwas wie Freunde waren, hatte ich das Bedürfnis, die Sache von damals aufzuklären. Aber das war auf keinen Fall eine gute Idee, denn seine Unfreundlichkeit damals war der Schlüssel, der das Höhlenweibchen einsperrte – und es sollte hinter Schloss und Riegel bleiben. Ich bin eine Amazone!
    Ich schlug meinen Kopf gedanklich mehrfach gegen das Metallgeländer der Plattform, als Bestrafung für die Idiotie, das Thema überhaupt anzusprechen, da erwiderte er: „Ja. Aber dieses Mal war es lustiger.“ In seiner Stimme war immer noch der leichte Nachhall der vorigen Lachsalve zu hören.
    „Jedenfalls …“ Ich kämpfte kurz mit mir. „Ich bin dir wirklich dankbar.“
    Er drehte sich um. „Jederzeit wieder. Aber versuch, solche Situationen zukünftig trotzdem zu vermeiden.“
    „Definitiv“, erwiderte ich triumphierend. „Ich sollte wirklich nichts mehr pflücken. Das Risiko weiterer Begegnungen mit Heuschrecken ist viel zu hoch. Ich glaube, es ist weitaus sicherer, wenn ich mich unter den Baum dort in den Schatten lege und einen kleinen Nachmittagsschlaf halte.“ Ich liebe Bezugsfehler.
    „Das könnte dir so passen.“ Immer noch sah ich leichten Spott in seinen Augen glitzern, als er mir meinen jetzt grashüpferfreien Korb in die Hand drückte. „Wir haben es ja bald geschafft.“
     
    Louis und ich sprachen nach wie vor nicht besonders viel mit einander, wenn es auch jeden Tag ein bisschen mehr wurde und mir unsere Gespräche jeden Tag ein bisschen weniger mühsam vorkamen.
    Manche meiner Fragen, die seine Vergangenheit betrafen, beantwortete er. So erfuhr ich, dass er die letzten fünfzehn Jahre nicht nur als Feld- und Waldarbeiter verbracht, sondern auch in anderen Bereichen mitgeholfen hatte, in der Schreinerei, der Schmiede, der Gerberei, im Solarkraftwerk, je nach dem, wo gerade Unterstützung benötigt wurde. Alles, was ich über seine Kindheit herausbekam, war, dass er als kleiner Junge stundenlang durch den Wald gestreift war und die Gegend wie seine Westentasche kannte. Wohingegen ihm der Rest der Welt völlig fremd war. Zumindest hatte er nichts davon mit eigenen Augen gesehen. Das, was er darüber wusste – und das war oft mehr als ich von mir behaupten konnte – hatte er aus den Erzählungen und Büchern seines Großvaters und der Leihbücherei von Goldvelt.
    Als ich nach einigen Tagen das Gefühl hatte, alles erzählt zu haben, was mir zum Citey meiner Kindheit einfiel, ging ich auch auf das postapokalyptische Citey ein, darauf, wie die blühende Stadt sich seit dem Verfall verwandelt hatte. Ich wollte, dass er begriff, wie die Zustände dort wirklich waren und auf was er sich einließ, wenn er tatsächlich dorthin wollte. Doch auch die detailreichsten, grausamsten Schilderungen schienen ihn nicht schockieren zu können; sein Plan stand fest.
    „Du willst da nicht hin“, sagte ich heftig.
    „Doch“, erwiderte er trocken.
    „Und dann? Wo willst du leben?“
    „Ich finde schon was.“
    Seine Sturheit ärgerte mich und seine Ignoranz dessen, was mein ursprüngliches Leben zerstört hatte, tat mir weh. „Klar findest du was. Irgendein dreckiges, verseuchtes Loch wird schon noch frei sein.“ Ich begann, mich in Rage zu reden. „Trotzdem wirst du spätestens am nächsten Tag vertrieben oder von Marodeuren totgeschlagen, wenn du nicht schon an der Cholera eingegangen bist, weil es kein sauberes Trinkwasser gibt, wie all die anderen, deren Leichen in zerstörten Häusern oder auf den Straßen verfaulen, oder weil du verhungert bist, weil du nichts, aber auch gar nichts besitzt, was du auf dem Schwarzmarkt für Lebensmittel eintauschen kannst, und selbst, wenn du all das überlebst und einen Ort gefunden hast, an dem du dich einigermaßen sicher fühlst, kommst du eines Tages nach Hause und findest Tod und Zerstörung vor, aber das ist noch nicht genug, denn so lange du noch atmest, ist es nie genug, und dann kommen sie wieder und …“
    Erst mein schluckaufartiges Schluchzen stoppte meinen verzweifelten Redeschwall und riss mich in die Realität zurück. Mir wurde bewusst, dass ich nicht mehr dastand und pflückte, wie zu Beginn meiner Schilderung, sondern auf der Hebebühne kauerte, das kühle Geländer an den Schulterblättern. Meine Wirbelsäule schmerzte, wo sie an den Gitterstäben entlanggerutscht war und Tränen verschleierten meine

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