Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
Sicht. Nur schemenhaft sah ich, dass Louis mich von seiner Plattform aus anstarrte, aber ich konnte mir seine Miene auch so lebhaft vorstellen. Unbeeindruckt, weil er mir nicht glaubte, wütend, weil ich ihm seinen Traum schlechtredete, und vielleicht sogar etwas überheblich, weil er meinen Ausbruch völlig übertrieben fand.
War er ja auch. „Entschuldigung“, murmelte ich verlegen und wischte mir über die Augen. War es nur meine Vergangenheit, die sich so quälend wieder an die Oberfläche gewühlt hatte, oder war es die Angst vor der Zukunft? Louis' Zukunft?
Langsam ließ er sich auf die Knie herab und begab sich auf Augenhöhe mit mir. „Was ist passiert?“, fragte er ruhig. Keine Arroganz weit und breit. Er wirkte einfach nur betroffen und teilnahmsvoll.
Ich winkte ab, aber er griff mit einer schnellen Bewegung zwischen den Gitterstäben hindurch und hielt meine Hand fest, so wie sein Blick den meinen festhielt. Mit der anderen wischte er mir sanft ein paar Tränen aus dem Gesicht.
„Ell?“
Ich klappte ein paar Mal den Mund auf und zu, weil ich mich nicht entscheiden konnte, ob ich etwas sagen sollte oder nicht. Sein dunkler, warmer Blick, der an meiner Seele zog und mir das Gefühl gab, dass ich ihm vertrauen konnte, war es, der mich schließlich überzeugte.
Nach den ersten stockenden Worten strömten alle weiteren wie von selbst aus mir heraus. Ohne die vorherige Aufgebrachtheit erzählte ich fast nüchtern von den Geschehnissen, die mich dazu gebracht hatten, meine Heimatstadt zu verlassen. Ich berichtete davon, wie ich meinen Vater tot aufgefunden hatte, von den Kaiman und wie ich ihnen entkommen konnte, und dass Tetra mich nach Themiskyra gebracht hatte. Kein Wort über die Begegnung mit Lenno, die ging niemanden etwas an, schon gar nicht Louis.
Er unterbrach mich nicht und schien nicht zu bemerken, dass er mich immer noch berührte, obwohl er den Körperkontakt mit mir sonst immer vermied, wo er nur konnte. Sein Handgriff war fest und stark und tröstlich. Ungewohnt. Nicht unangenehm. Geborgen. Summend. Und meine Hand fühlte sich überraschend klein in seiner an, obwohl sie durch die Arbeit und das Training im vergangen halben Jahr stärker und sehniger geworden war.
„Jetzt weißt du, warum ich die Stadt so hasse. Citey“, schloss ich.
Er nickte langsam. Sein Blick wanderte zu unseren Händen, kehrte aber zurück zu meinen Augen, als er sagte: „Ja. Ich kann dich verstehen.“
Ich sah ihm das große Aber an, auch wenn er es nicht aussprach. Also tat ich es für ihn. „Aber du wirst dich trotzdem nicht davon abbringen lassen, habe ich recht?“
Er schloss die Augen und drückte meine Hand. „Du weißt nicht, warum ich diese Stadt so hasse. Themiskyra.“
„Nein. Das weiß ich nicht.“ Aber ich hatte es satt, keine Antworten auf meine Fragen zu erhalten. Ich wollte ihn nicht mehr drängen.
Er öffnete die Augen wieder, ließ seinen Blick in die Ferne schweifen und atmete ein, als wolle er zu einer Erwiderung ansetzen. Vor Spannung hielt ich die Luft an, weil ich dachte, dass er mir endlich offenbaren würde, wofür sich mein hochwohlgeborener Kopf nun womöglich doch als würdig erwiesen haben mochte. Doch dazu kam es nicht.
Unvermittelt entriss er mir seine Hand und zischte mir leise zu: „Da kommt jemand“, bevor er aufsprang, die Leiter hinabstieg und die Maschine bis zu der Stelle zurückfahren ließ, an der wir wegen meiner drastischen Darstellung der urbanen Apokalypse zu pflücken aufgehört hatten.
Währenddessen rutschte ich zu meinem Korb und beugte mich darüber, als sortiere ich das Obst. Sobald der Wagen den ersten ungeernteten Baum erreicht hatte, begann ich hastig zu arbeiten. Mit einem halben Auge suchte ich dabei den Horizont ab und erkannte eine berittene Frauengestalt, die inzwischen den Rand der Plantage erreicht hatte. Louis nahm die Arbeit ebenfalls wieder auf, aber in aller Ruhe. Ich unterdrückte den Zwang, mich nach der Reiterin umzuschauen, konzentrierte mich nur auf das Obst und bemühte mich, Puls und Hände zu beruhigen
„Aella?“
Ich wandte den Kopf, aber ich hätte nicht hinsehen müssen, um zu wissen, wer sich unten aufgebaut hatte.
„Hallo, Areto“, grüßte ich sie und zwang mich zu einem höflichen Lächeln. Was macht sie hier? Spioniert sie mir hinterher? War meine Freude, mit Louis weiterarbeiten zu dürfen, doch zu offensichtlich?
„Ich wollte nach dir sehen.“ Die Süße in ihrer Stimme biss sich wie Säure durch meine
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